2.1 Geistliche (§ 102 Abs. 1 Nr. 1 AO)
Rz. 12
Das Auskunftsverweigerungsrecht für Geistliche trägt der in Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Freiheit der ungestörten Religionsausübung Rechnung. Sie schützt den Bereich der Seelsorge gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung von Steueransprüchen. § 102 Abs. 1 Nr. 1 AO dient damit gleichermaßen dem Schutz der Religionsgemeinschaft und ihrer seelsorgerisch tätigen Geistlichen sowie dem Schutz des seelsorgerisch betreuten Beteiligten. Begünstigt sind Geistliche ohne Rücksicht auf den rechtlichen Status der Glaubensgemeinschaft.
Der Geistliche kann sich auch dann auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen, wenn durch den Beteiligten eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht erfolgt. § 102 Abs. 3 AO ist insoweit nicht anwendbar. Allerdings entfällt die Schutzfunktion der Vorschrift, wenn der Geistliche bereits gegenüber Dritten die Tatsache bekannt gegeben hat.
Rz. 13
Geistliche i. d. S. sind alle Personen, die im Rahmen einer Religionsgemeinschaft seelsorgerische Aufgaben (s. Rz. 6a) wahrnehmen. Das Aussageverweigerungsrecht besteht nach § 102 Abs. 2 AO auch für Hilfspersonen, die an der Aufgabenerfüllung teilnehmen, allerdings abhängig von der Entscheidung des Geistlichen. Die rechtliche Stellung der Hilfsperson ist unerheblich.
Rz. 14
Das Auskunftsverweigerungsrecht besteht nur für solche Tatsachen, die dieser Person in ihrer Eigenschaft als Geistlicher bei Ausübung seelsorgerischer Tätigkeit anvertraut oder bekannt geworden sind. Dies ist jede geistliche oder körperliche Betreuung, z. B. die Beichte oder auch Krankenpflege. Karitative, erzieherische oder verwaltende Tätigkeiten sind nicht geschützt. Sind die zu ermittelnden Tatsachen dem Geistlichen daher im privaten Bereich oder aufgrund seiner Tätigkeit im Verwaltungsbereich der Religionsgemeinschaft bekannt geworden, so besteht kein Auskunftsverweigerungsrecht.
2.2 Mitglieder von Gesetzgebungsorganen (§ 102 Abs. 1 Nr. 2 AO)
Rz. 15
Mandatsträger der deutschen Gesetzgebungsorgane (Bundestag, Landtage, zweite Kammern – z. B. Bundesrat) haben das Recht, über Personen, die ihnen oder denen sie in ihrer Eigenschaft als Mandatsträger Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsache selbst die Auskunft zu verweigern. Die Vorschrift wiederholt damit Regelungen, die bereits in den jeweiligen Verfassungen enthalten sind. Das Auskunftsverweigerungsrecht besteht auch für Mandatsträger des Europäischen Parlaments. Es besteht nach § 102 Abs. 2 AO zudem für Hilfspersonen des Mandatsträgers, z. B. Assistenten oder Sekretärinnen, allerdings abhängig von dessen Entscheidung.
Geschützt wird hier auch die Institution (s. Rz. 2), sodass das Weigerungsrecht durch eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht nicht erlischt.
Rz. 16
Das Anvertrauen der Tatsachen muss durch die Eigenschaft als Mandatsträger bedingt sein. Über außerhalb dieser Sphäre ohne jeden Mandatsbezug erlangte Kenntnisse hat der Abgeordnete Auskunft zu geben, sofern er sich nicht auf ein anderes Auskunftsverweigerungsrecht berufen kann.
2.3 Mitglieder bestimmter Berufsgruppen (§ 102 Abs. 1 Nr. 3 AO)
2.3.1 Grundlagen
Rz. 17
Den in § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO aufgeführten Berufsgruppen ist gemeinsam, dass zu den Mandanten oder Klienten ein besonders enges Vertrauensverhältnis begründet wird, weil aufgrund der Tätigkeit ggf. auch Informationen über den privaten Bereich des Beteiligten erlangt werden. § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO schützt dieses Vertrauensverhältnis, soweit die zu ermittelnden Tatsachen den Verweigerungsberechtigten aufgrund ihrer beruflichen Stellung anvertraut oder sonst bekannt geworden sind. Zwischen Berufsausübung und Kenntniserlangung muss daher ein Kausalzusammenhang bestehen. Das Auskunftsverweigerungsrecht bezieht sich nicht auf solche Tatsachen, die der Berufsangehörige bei Gelegenheit sei...