Prof. Dr. Alexander Kratzsch
Rz. 5
Der Sitz wird durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dgl. bestimmt. Er folgt also meist aus einer rechtsgeschäftlichen Entscheidung (statuarischer Sitz), wird daher durch Rechtsakt bestimmt. Die Begründung des Sitzes kann als Realakt angesehen werden. Außer bei der gesetzlichen Sitzbestimmung ergibt sich der Sitz aus der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag. Dies entspricht den Regelungen in § 5 AktG und § 4a Abs. 1 GmbHG. Die gesetzliche Bestimmung des Sitzorts kommt zum einen in der Form einer Fiktion vor, wie z. B. für den nichtrechtsfähigen Verein in § 24 BGB und für die rechtsfähige Stiftung in § 80 BGB mit dem Ort der Führung der Verwaltung. Andererseits kann sie auch im Gesetz, das über die Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse konkret Regelungen trifft (z. B. bei Privatisierungen), durch eine im Gesetz aufgestellte Satzung festgelegt werden. Hier entspricht die gesetzliche Festlegung einer rechtsgeschäftlichen statuarischen Bestimmung.
Rz. 6
Der Ort des Sitzes und der Geschäftsleitung müssen nicht, können aber zusammenfallen. Dabei ist der Sitz durch die statuarische Bestimmung festgelegt, sodass nur die Geschäftsleitung durch tatsächliche Gestaltungen zum Sitz kommen kann und nicht umgekehrt. Voraussetzung hierfür ist in diesen Fällen eine tatsächliche, örtliche Verknüpfung zwischen Sitz und Geschäftsführung des Unternehmens.
Rz. 7
Liegt der Sitz im Ausland, die Geschäftsleitung jedoch im Inland, so entstehen bei Anknüpfung der steuerlichen Rechtsfolgen an beide Orte durch das Gesetz keine Probleme. Maßgebend ist für die Anwendung des § 11 AO – vorbehaltlich eines Gestaltungsmissbrauches nach § 42 AO –, an welchem Ort sich der zivilrechtliche Sitz befindet. Eine Gesellschaft mit Sitz im Ausland – auch in Drittstaaten – ist nach europarechtlichen Grundsätzen auch im Inland rechts- und parteifähig. Nach der im Zivilrecht (wohl) überwiegenden Meinung kann bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs als statuarischer Sitz auch ein Ort bestimmt werden, an dem weder die Verwaltung geführt wird noch eine betriebliche Aktivität der Gesellschaft stattfindet. Inländische Kapitalgesellschaften können nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nur ihren Sitz frei in ihrer Satzung bestimmen, sondern es ist ihnen auch freigestellt, den Ort der inländischen Anschrift zu wählen. Indessen bestand in der früheren Rspr. und im Schrifttum Einvernehmen darüber, dass der Sitz nicht "willkürlich" oder "rechtsmissbräuchlich" bestimmt werden darf. Darüber hinaus wird z. T. vertreten, der Sitz der Gesellschaft könne genauso wenig wie der Wohnsitz des Menschen durch schlichte Willenserklärung begründet werden; hinzutreten müsse ein sachlicher Anknüpfungspunkt. Die Wahl eines rein fiktiven Sitzes ohne jede Beziehung zur Tätigkeit der Gesellschaft wurde für Kapitalgesellschaften zivilrechtlich nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des MoMiG als unzulässig angesehen. Seit Inkrafttreten des MoMiG ist ein Satzungssitz lediglich dann unbeachtlich, wenn er rechtsmissbräuchlich zu bewerten ist. Der Gesetzeswortlaut des § 24 BGB verlangt für die Sitzbestimmung ebenso wenig wie § 4a GmbHG n. F. einen sachlichen Anknüpfungspunkt und räumt der Satzungsregelung den Vorrang ein. Deshalb ist ein fiktiver Satzungssitz grds. zulässig, auch wenn an diesem Ort keine Vereinsaktivitäten stattfinden
Steuerrechtlich wird ein fiktiver Sitz z. T. als Scheingeschäft nach § 41 Abs. 2 AO angesehen. Ein rein fiktiver Sitz stellt indes nur dann einen Scheinsitz nach § 41 Abs. 2 AO dar, der steuerlich nicht anzuerkennen ist, wenn er nicht ernsthaft gewollt ist. Da jedoch die zivilrechtlich wirksame Sitzbestimmung insbesondere bei Basisgesellschaften zum Zwecke der Steuerersparnis gerade gewollt ist, liegen die Voraussetzungen eines Scheingeschäfts nach § 41 Abs. 2 AO i. d. R. nicht vor. Im Einzelfall kann die Wahl eines fiktiven Sitzes allerdings rechtsmissbräuchlich i. S. v. § 42 AO sein. Wenn der Sitz steuerrechtlich nicht anzuerkennen ist, ist stattdessen der tatsächliche Sitz maßgebend. Im Einzelfall kann zu prüfen sein, ob eine Geschäftsleitung im Inland unterhalten wird, sodass § 10 AO einschlägig ist.