Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 71
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nach § 110 Abs. 1 S. 1 AO nur auf Antrag gewährt. Sind die übrigen Voraussetzungen (Nachholung der versäumten Rechtshandlung, Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe) erfüllt, so wird allerdings auch beim Fehlen eines Antrags vom Gesetz unterstellt, dass der Stpfl. eine Wiedereinsetzung wünscht. In diesem Fall besteht zwar nach dem Gesetzeswortlaut ("kann" in Abs. 2 S. 4 anstatt "ist" in Abs. 1 S. 1) ein Ermessensspielraum für die Finanzbehörde. Liegt jedoch die Wiedereinsetzung im Interesse des Betroffenen – so ist es im Regelfall –, so kann die Finanzbehörde ihr Ermessen nur im Sinn der Wiedereinsetzung ausüben, muss also von Amts wegen die Wiedereinsetzung gewähren oder wenigstens das Stellen eines Antrags anregen. Voraussetzung ist allerdings, dass innerhalb der – an sich – für den Antrag bestehenden Frist die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragen werden.
Rz. 72
Der Antrag bedarf keiner besonderen Form. Die Tatsache, dass er mit der versäumten und nachzuholenden Rechtshandlung eng zusammenhängt, bedeutet weder eine Notwendigkeit der gleichzeitigen Anbringung von versäumter Rechtshandlung und Antrag noch eine übereinstimmende Form. Wegen des Fehlens einer Formvorschrift reichen daher auch mündliche, fernmündliche und sogar schlüssig erklärte Anträge aus. Aus Klarheitsgründen ist regelmäßig ein schriftlicher Antrag zu empfehlen. Sind sämtliche die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen aktenkundig und ergibt sich eindeutig aus den Angaben in der Rechtsbehelfsschrift die Verspätung der Rechtsbehelfseinlegung, dann muss angenommen werden, dass der Rechtsbehelfsführer die Wiedereinsetzung für die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs wünscht. Bringt dagegen der Betroffene erkennbar zum Ausdruck, dass er von der Einhaltung der Frist ausgeht, so kann ein stillschweigender Antrag auf Wiedereinsetzung nicht angenommen werden.
Rz. 73
Die Antragsfrist beträgt einen Monat ab Wegfall des Hindernisses. Die Frist kann als gesetzliche Frist nicht verlängert werden, da sie keine Steuererklärungsfrist ist. Bei ihrer Versäumung kommt jedoch wiederum eine Wiedereinsetzung in Betracht (vgl. Rz. 17). Diese Wiedereinsetzung setzt allerdings ebenfalls voraus, dass die Antragsfrist unverschuldet versäumt worden ist. Auch hierfür sind bei Rechtsberatern organisatorische Vorkehrungen erforderlich. Wird dem Rechtsberater (z. B. Steuerberater, Rechtsanwalt) vom Gericht der Eingang eines von ihm eingelegten Rechtsbehelfs schriftlich unter Angabe des Eingangsdatums bestätigt, so hat er anhand dieser Bestätigung die Einhaltung der Rechtsbehelfsfrist zu überprüfen bzw. durch eine geeignete Kraft überprüfen zu lassen, um bei Feststellung der Fristüberschreitung rechtzeitig einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. In den Fällen der Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Antragsfrist für eine Wiedereinsetzung ist innerhalb einer weiteren Antragsfrist vorzutragen, dass der Rechtsbehelfsführer ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Abgabe des Rechtsbehelfs verhindert war. Wird der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb der Antragspflicht gestellt, so steht der Gewährung der Wiedereinsetzung nicht entgegen, dass z. B. der Einspruch bereits innerhalb der Antragsfrist als verspätet und damit unzulässig zurückgewiesen worden ist.
Die Antragsfrist beginnt mit Ablauf des Tags, an dem das Hindernis entfallen ist. Dieser Tag ist nicht mitzurechnen. Der der Zahl dieses Tags entsprechende Tag des nächsten Monats ist jedoch entsprechend § 188 Abs. 2 BGB der letzte Tag der Frist, sofern er nicht ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag ist. Das Hindernis ist fortgefallen, wenn das Hindernis beseitigt ist, also etwa der Prozessbevollmächtigte von der Versäumung der Frist erfährt, z. B. mit Beseitigung des Irrtums des Betroffenen etwa durch Belehrung seitens eines Beraters oder durch Mitteilung des Finanzamts, dass der Rechtsbehelf verspätet eingegangen ist. Bei Unkenntnis des Betroffenen oder seines Vertreters von der Fristversäumung fällt das Hindernis spätestens mit der Kenntniserlangung weg, z. B. im Augenblick der Belehrung oder Information durch Mitteilung der Finanzbehörde, dass der Einspruch verspätet eingegangen ist. Gilt ein anzufechtender Bescheid dem Stpfl. zwar als bekanntgegeben, hat er von ihm jedoch keine Kenntnis erlangt (z. B. Kinder haben den Brief nach Entnahme aus dem Briefkasten in der Wohnung vernichtet), so läuft die Antragsfrist erst von dem Augenblick an, in dem der Stpfl. oder sein Vertreter sich den anzufechtenden Bescheid verschafft und ein Bild von der Rechtslage gemacht haben. Bei Erkrankungen ist das Hindernis entfallen, wenn der Betroffene soweit wiederhergestellt ist, dass ihm Gedanken an die Frist und die Nachholung der versäumten Handlung zugemutet werden können. Ist das Hindernis noch während der einzuhaltenden Frist (z. B. Rechtsbehelfsfrist) weggefallen, so ist grundsätzlich keine Wiedereins...