1 Allgemeines
Rz. 1
§ 116 AO enthält abweichend von den übrigen Amtshilfevorschriften eine Rechtsverpflichtung zu einem initiativen, aktiven Handeln, nämlich zur Abgabe von Mitteilungen. Dabei handelt es sich nicht um Amtshilfe, sondern um eine besondere Form der Mitteilung auf Initiative der meldenden Institution hin, der kein Ersuchen vorangegangen ist. Die Frage, ob die Vorschriften der §§ 111–115 AO auf die Amtshilfe nach § 116 AO anzuwenden sind, beantwortet sich bereits dadurch negativ, dass eine Anwendbarkeit schon inhaltlich nicht in Betracht kommt. Das gilt auch für die Kostenregelung des § 115 AO. Ein Messen an Art. 35 GG erübrigt sich also. Die praktische Umsetzung von § 116 AO ergibt sich aus dem Merkblatt zur Zusammenarbeit von Behörden und Gerichten mit den Finanzbehörden des Bundes (Zollverwaltung) und der Länder.
Rz. 2
In der Praxis wird von der Mitteilungspflicht nach § 116 AO zu wenig Gebrauch gemacht. Dies ist sicher auf die Stellung dieser Vorschrift in der AO und damit einhergehend auf die Unkenntnis vieler Amtsträger, insbesondere außerhalb der Finanzverwaltung, über die Existenz dieser Vorschrift zurückzuführen. Wie bei der Amtshilfepflicht nach § 111 AO gilt auch bei der Mitteilungspflicht nach § 116 AO, dass ein mit der Meldung einhergehender Mehraufwand keinen Ausschlussgrund für eine solche darstellt. Im Einzelfall kann eine unterbliebene Mitteilung nach § 116 AO trotz bestehender Meldepflicht strafrechtliche Folgen auslösen, beispielsweise Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB.
2 Meldepflicht (Abs. 1 S. 1)
2.1 Mitzuteilende Tatsachen
Rz. 3
Mitzuteilen sind Tatsachen, die auf eine Steuerstraftat schließen lassen. Steuerstraftaten sind die in § 369 AO aufgezählten Straftaten. Ein Verdacht hinsichtlich einer Steuerordnungswidrigkeit begründet keine Mitteilungspflicht.
Tatsachen lassen dann auf eine Steuerstraftat schließen, wenn sie entweder den Verdacht einer Steuerstraftat begründen oder nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit einer Steuerstraftat für ausreichend halten lassen. Entgegen der früheren Fassung der Vorschrift ist ein Verdacht nun nicht mehr erforderlich, sondern ausreichend ist der Schluss auf die mögliche Steuerstraftat. Eine Anzeigepflicht besteht also, wenn nicht unerhebliche Anhaltspunkte die Wahrscheinlichkeit einer Straftat begründen. Wegen der von § 189 RAO ("haben Steuervergehen mitzuteilen") abweichenden Formulierung des § 116 AO, und weil kein dringender Tatverdacht erforderlich ist, braucht die möglicherweise mitteilungspflichtige Behörde keine weiteren Nachforschungen oder Überlegungen anzustellen, ob eine Straftat wirklich vorliegt. Auch kommt es nicht auf das Vorliegen von Strafausschließungsgründen, insbesondere bei einer Selbstanzeige, oder Verjährungsfragen, an. Auch der Tod eines möglichen Täters ist für die Meldepflicht unerheblich, da § 116 Abs. 1 AO bereits vom Wortlaut her an die Tat anknüpft und die Meldung wegen der Durchführung eines Besteuerungsverfahrens auch nach dem Ableben eines Täters, regelmäßig gegenüber den Erben, steuerlich ausgewertet werden kann. Die mitteilungspflichtige Behörde hat beim Erkennen von Verdachtsmomenten die Mitteilung zu machen. Eine bloße Vermutung ist allerdings nicht ausreichend.
Da die Grenzen zwischen Verdacht und Vermutung im Einzelfall fließend sein können, ist der Maßstab nicht zu streng anzulegen und eine Meldung im Zweifel zu erteilen.
2.2 Verpflichtete Institution
Rz. 4
Verpflichtet zur Mitteilung an die Finanzbehörde sind die Gerichte, also auch die Finanzgerichte, und die Behörden der Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Träger der kommunalen Verwaltung). Nicht zum Kreis der Mitteilungspflichtigen gehören andere Behörden und Beamte sowie die berufsständischen Selbstverwaltungskörperschaften (Kammern). Ebenfalls ausgeschlossen sind durch den Wortlaut andere Finanzbehörden i. S. d. § 6 Abs. 2 AO, zu denen auch Familienkassen gehören. Die Tatsachen müssen der mitteilungspflichtigen Behörde (Gericht) bzw. ihrem Amtsträger dienstlich bekannt geworden sein. Eine Vorschrift über die Art und Weise ...