Rz. 4
Die Verletzung von Verfahrensvorschriften kann darin bestehen, dass an der Entscheidung eine nach § 82 Abs. 1 AO ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, dass der erforderliche Beschluss eines Ausschusses nicht vorliegt oder dass eine Behörde, deren Mitwirkung erforderlich war, nicht mitgewirkt hat. In diesen Fällen ist die Anwendung des § 127 AO i. d. R. unbedenklich, wenn die Entscheidung materiell richtig war. Entsprechendes gilt für die Unterlassung der Schlussbesprechung und Nichtübersendung des Prüfungsberichts im Rahmen einer Außenprüfung; diese Regelungen sind Verfahrensbestimmungen, sodass ein Verstoß nach § 127 AO unbeachtlich sein kann. Denkbar ist aber auch, dass der Verfahrensverstoß in der Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs liegt, wenn dieser Verstoß nicht nach § 126 AO geheilt worden ist. Für den Bereich des Besteuerungsverfahrens würde die Anwendung des § 127 § 127 AO auf diesen Fall bedeuten, dass praktisch kein rechtliches Gehör gewährt zu werden braucht, da Steuerbescheide gebundene Verwaltungsakte sind, bei denen regelmäßig keine andere Entscheidung in der Sache ergehen kann (vgl. Rz. 7). Eine solche Regelung würde jedoch der großen Bedeutung des rechtlichen Gehörs nicht gerecht; es ist daher davon auszugehen, dass auf eine Verletzung des § 91 AO die Regelung des § 127 AO nicht anzuwenden ist. Teilweise kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass auch bei Gewährung rechtlichen Gehörs eine andere Entscheidung getroffen wird. Dann ist der Verstoß schon deshalb nicht gem. § 127 AO unbeachtlich.
Besteht der Verfahrensmangel dagegen in einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes des § 88 AO, bestehen gegen die Anwendung des § 127 AO keine Bedenken, wenn trotz des Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz keine andere Entscheidung in der Sache ergehen konnte, der Verwaltungsakt also materiell richtig ist. Fehlt ein erforderlicher Antrag eines Beteiligten, ist § 127 AO nicht zwangsläufig unanwendbar. Zwar hätte insoweit eine andere Entscheidung ergehen können, nämlich das Unterbleiben des Verwaltungsakts wegen des fehlenden Antrags. Allerdings kann ein Antrag auch gem. § 126 Abs. 1 Nr. 1 AO nachgeholt werden. Daher ist ein antragsgebundener Verwaltungsakt nicht zwangsläufig materiell unrichtig. § 127 AO ist anwendbar, wenn die Willensbildung des entscheidenden Beamten, etwa von einem Dritten, unlauter (durch Drohung, Täuschung, Bestechung usw.) beeinflusst worden ist; war die Entscheidung sachlich trotzdem richtig, ist eine Aufrechterhaltung gerechtfertigt.
Keine Anwendung findet die Vorschrift, soweit Regelungen nicht beachtet worden sind, die die Voraussetzung der Entscheidung (des Verwaltungsakts) sind, insbesondere die Vorschriften über die Festsetzungsfrist, §§ 169ff. AO, und über die Durchbrechung der Bestandskraft, §§ 130, 131, §§ 172ff. AO. § 127 AO schützt nur eine zulässige, sachlich richtige Entscheidung gegen Fehler, die den Weg betreffen, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist, will aber nicht die Zulässigkeit des Erlasses einer solchen Entscheidung erweitern.
§ 127 AO ist außerdem nicht anwendbar, wenn die Voraussetzungen der Änderung eines Bescheids erst nach dieser Änderung geschaffen und der Verfahrensmangel damit beseitigt wird (z. B. wenn ein Folgebescheid vor Änderung des Grundlagenbescheids geändert wird); im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids hätte eine andere Entscheidung, nämlich das Unterlassen der Änderung des Folgebescheids wegen fehlender Änderungsvorschrift, ergehen können und müssen.
Ohne Bedeutung ist es, ob die Verfahrensvorschriften, die die Finanzbehörde zu beachten hat, in der AO oder in anderen Gesetzen enthalten sind.