Rz. 17

Da eine offenbare Unrichtigkeit nur vorliegen kann, wenn der äußere Wortlaut des Verwaltungsakts von dem wirklichen, nach der Erklärungstheorie zu bestimmenden Inhalt des Verwaltungsakts abweicht (vgl. Rz. 5), kann es sich nicht um eine offenbare Unrichtigkeit handeln, wenn die Finanzbehörde infolge fehlerhafter Sachverhaltsermittlung oder Irrtums bei ihrer Entscheidung von einem falschen Sachverhalt ausgeht[1] bzw. nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist.[2] Der Wortlaut des Verwaltungsakts gibt dann den Regelungsgehalt des Verwaltungsakts richtig, nicht offenbar unrichtig wieder. Die Unrichtigkeit liegt in der sachlichen Entscheidung selbst, nicht in der Wiedergabe einer (sachlich richtigen) Entscheidung. Ein Verstoß der Finanzbehörde gegen die Ermittlungspflicht schließt daher regelmäßig die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus.[3]

 

Rz. 18

§ 129 AO ist aber anwendbar, wenn nicht ein Fehler in der Sachverhaltsermittlung vorliegt, sondern ein (feststehender) Sachverhalt infolge einer Unachtsamkeit der Finanzbehörde nicht oder falsch ausgewertet wird.[4] Die allgemeine Formulierung, dass ein Fehler infolge mangelnder Sachaufklärung nicht zur Berichtigung führt, ist daher zu weit; eine offenbare Unrichtigkeit ist nur ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt fehlerhaft oder ein ermittlungsbedürftiger Sachverhalt überhaupt nicht ermittelt worden ist. Hierbei handelt es sich immer um Fehler, die den Sachverhalt selbst betreffen. Fehler, die die Übernahme des Sachverhalts in das Besteuerungsverfahren betreffen, können aber sehr wohl offenbare Unrichtigkeiten sein.[5] Eine fehlerhafte Sachverhaltsaufklärung liegt auch dann vor, wenn zwar ein Fehler offensichtlich ist, aber für die korrekte Festsetzung die erforderlichen Informationen nicht vorliegen. Auch in diesem Fall kann trotz des offensichtlichen Fehlers keine Korrektur gem. § 129 AO erfolgen.[6] Außerdem muss die fehlerhafte Nichtberücksichtigung des Sachverhalts auf einem mechanischen o. ä. Versehen beruhen.[7] Andererseits ist die Nichtberücksichtigung einer feststehenden Tatsache dann keine offenbare Unrichtigkeit, wenn der Beamte diese Tatsache wegen fehlender Sachaufklärung nicht zur Kenntnis genommen hat. Er geht dann infolge eines Ermittlungsmangels von einem falschen Sachverhalt aus.[8] Dies gilt auch dann, wenn keine weitere Sachverhaltsermittlung erfolgt, obwohl diese offensichtlich erforderlich war.[9] Ebenfalls keine offenbare Unrichtigkeit liegt vor, wenn das FA bewusst in Kauf nimmt, dass übermittelte Daten ggf. fehlerhaft sind. Auch in diesem Fall liegt eine fehlerhafte Sachverhaltsermittlung und kein offensichtlicher Fehler vor.[10] Wenn allerdings das FA einen eigenen Vermerk in den Akten nicht beachtet, ohne dass darin eine (abweichende) rechtliche Würdigung zu sehen ist, liegt darin eine offenbare Unrichtigkeit. Es handelt sich um ein Versehen.[11]

Sofern das FA aber Hinweisen auf fehlerhafte Sachverhaltsermittlung nicht nachgeht (z. B. Prüf- und Risikohinweise ignoriert), liegt keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, sondern ein Fehler in der Sachverhaltsermittlung.[12] Das gleiche gilt, wenn ein Änderungsbescheid irrig nicht den letzten erlassenen Bescheid ändert.[13] Dagegen liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor, wenn das FA bewusst von der Angeben in der Steuererklärung abweicht.[14]

 

Rz. 19

Eine offenbare Unrichtigkeit wird nicht ausgeschlossen, wenn die Bearbeitung des Falls zu oberflächlich war[15]; geht die Finanzbehörde aber sich aufdrängenden Zweifeln nicht nach, liegt ein Fehler in der Sachverhaltsermittlung vor.[16] Das Gleiche kann gelten, wenn sich die Unachtsamkeiten häufen. BFH v. 24.5.1977, IV R 44/74, BStBl II 1977, 853 könnte dahin verstanden werden, dass keine offenbare Unrichtigkeit vorliegt, wenn sie bei ordentlicher Aufklärung durch die Finanzbehörde vermieden worden wäre; dadurch ließe sich aber jede offenbare Unrichtigkeit vermeiden.

[1] BFH v. 24.5.1977, IV R 44/74, BStBl II 1977, 853; BFH v. 13.2.1979, VIII R 53/77, BStBl II 1979, 458; BFH v. 16.3.2000, IV R 3/99, BStBl II 2000, 372; FG Berlin v. 15.10.1982, III 606/81, EFG 1983, 484 für den Fall, dass dem Sachbearbeiter der Fall nicht bekannt ist.
[2] FG Berlin v. 16.9.1981, VI 25/81, EFG 1982, 332.
[3] BFH v. 31.7.1990, I R 116/88, BStBl II 1991, 22; BFH v. 12.4.1994, IX R 31/91, BFH/NV 1995, 1; FG Nürnberg v. 12.3.1991, II 16/90, EFG 1991, 583 für eine unterlassene Beiziehung von Akten; BFH v. 29.3.1990, V R 27/85, BFH/NV 1992, 711 für eine Schätzung, bei der bestimmte Tatsachen außer Acht gelassen wurden.
[4] BFH v. 29.3.1985, VI R 140/81, BStBl II 1985, 569; FG Nürnberg v. 16.7.1991, IV 256/89, EFG 1992, 170.
[5] BFH v. 18.4.1986, IV R 4/83, BStBl II 1986, 541; FG München v. 15.5.1991, 9 K 1063/91, EFG 1991, 636 für den Ansatz von Kinderfreibeträgen für erst im Folgejahr geborene Kinder; das Geburtsdatum und damit der Sachverhalt standen fest, mehr war nicht ermittlungsbedürftig.

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