Prof. Dr. Gerrit Frotscher
2.1 Allgemeines
Rz. 9
Die Kennzeichen des Abs. 1 begründen nur dann eine mitteilungspflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltung, wenn die Voraussetzungen des "Main Purpose Tests" des § 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AO erfüllt sind (Relevanztest). Es muss also erwartet werden können, dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile in der Erlangung eines steuerlichen Vorteils besteht. Was ein steuerlicher Vorteil in diesem Sinne ist, wird in § 138d Abs. 3 AO definiert. Der steuerliche Vorteil kann in einer Verminderung der Steueransprüche der Bundesrepublik oder eines anderen Staates bestehen. Ist aufgrund nationaler Vorschriften ein steuerlicher Vorteil aus der Gestaltung ausgeschlossen, entfällt die Mitteilungspflicht. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Anwendung der den Vorteil ausschließenden Vorschrift aus der Sicht des Entstehens der etwaigen Mitteilungspflicht sicher und eindeutig ist.
Im Rahmen des Relevanztests hat die "Erlangung eines steuerlichen Vorteils" i. S. d. § 138d Abs. 3 AO erhebliche Bedeutung. § 138d Abs. 3 S. 3 AO ermächtigt den BMF im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder, in einem Schreiben bestimmte Fallgruppen festzulegen, in denen kein steuerlicher Vorteil i. S. d. § 138d Abs. 3 AO anzunehmen ist, weil die Steuergestaltung sich nur in Deutschland auswirkt und der Steuervorteil gesetzlich vorgesehen ist, sog. "Weißliste". Die in der Weißliste aufgeführten Gestaltungen führen nur bei den dem Relevanztest nach § 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AO unterliegenden Gestaltungen nicht zu einer Mitteilungspflicht. Für die nicht dem Relevanztest unterliegenden Kennzeichen nach § 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AO hat die Weißliste keine Bedeutung.
Rz. 10
Da die Kennzeichen des Abs. 1 Nr. 1 dem "Main Purpose Test" unterliegen, haben diese Kennzeichen nur die Bedeutung von widerlegbaren Indizien. Ihr Vorliegen begründet eine tatsächliche Vermutung, dass eine schädliche grenzüberschreitende Steuergestaltung vorliegt; dies muss jedoch durch den "Main Purpose Test" noch verifiziert werden. Zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des "Main Purpose Tests" Rz. 11 sowie Frotscher, M., in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Kommentierung zu § 138d AO, Rz. 88ff.
Rz. 11
Das Vorliegen eines Kennzeichens hängt nach § 138d Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Buchst. a AO davon ab, dass ein verständiger Dritter vernünftigerweise erwarten kann, dass der oder ein Hauptvorteil der Gestaltung in der Erlangung eines steuerlichen Vorteils besteht. Hierfür ist die Finanzbehörde darlegungs- und ggf. objektiv beweispflichtig. Demgegenüber kann der Mitteilungspflichtige darlegen, dass die Voraussetzungen des Relevanztests im konkreten Fall, und damit subjektiv, nicht erfüllt sind, weil außersteuerliche, d. h. regelmäßig wirtschaftliche Gründe für die konkrete Strukturierung der Gestaltung maßgebend waren. Dazu muss die Bedeutung des steuerlichen Vorteils in den Hintergrund rücken, z. B. lediglich eine Randerscheinung oder ein Reflex der Gestaltung sein. Es genügt aber nicht, dass auch außersteuerliche Vorteile für die Gestaltung maßgeblich waren. Der Mitteilungspflichtige muss vielmehr darlegen und ggf. durch Dokumente belegen, dass im Rahmen dieses subjektiven Maßstabs der steuerliche Vorteil kein Hauptvorteil der Gestaltung ist. Dokumente, mit denen dies dargelegt werden kann, sind z. B. Korrespondenzen, Memoranden und Vorstandsbeschlüsse.
2.2 Kennzeichen bezüglich der Vereinbarung, Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, b
2.2.1 Allgemeines
Rz. 12
§ 138e Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, b AO führt zwei Vertragsbestimmungen auf, die als Indizien auf das Vorliegen einer schädlichen grenzüberschreitenden Steuergestaltung hinweisen. Sie bilden nur dann Kennzeichen i. S. d. § 138e Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn sie in der Vereinbarung selbst enthalten sind, wenn auch u. U. nicht in der gleichen Vertragsurkunde. Die Vereinbarung wird durch das Vertragsdokument und alle Nebenabreden, die zu dem Inhalt des Vertrags gehören, gebildet. Die Vertragsbestimmungen müssen lediglich vereinbart sein, wobei die Parteien davon ausgehen, dass sie zur Einhaltung dieser Bestimmungen verpflichtet sind. Es ist dagegen nicht erforderlich, dass die Vertragsbestimmungen auch rechtlich bindend sind. Daher führen auch Vertragsbestimmungen, die wegen ihres Inhalts oder wegen Formmangels rechtlich nicht bindend sind, zu einem Kennzeichen. Mündliche Vereinbarungen führen zu einem Kennzeichen, wenn sie von den Parteien als verpflichtend angesehen werden; allerdings trifft die Finanzbehörde in diesen Fällen die objektive Beweislast, dass solche mündlichen Vereinbarungen abgeschlossen worden sind. Nicht vere...