Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 1
§§ 155ff. AO regeln das Steuerfestsetzungsverfahren. Das Steuerfestsetzungsverfahren bildet den zentralen Bereich der steuerlichen Verfahrensarten, da hierdurch die Steuer mit rechtlicher Wirkung ermittelt und festgesetzt wird. Das Steuerfestsetzungsverfahren ist unmittelbar auf die verbindliche Entscheidung über den Steueranspruch durch Verwaltungsakt gerichtet. Die anderen Verfahrensarten haben mehr den Charakter von Hilfsverfahren, die sich um das Steuerfestsetzungsverfahren als dem zentralen Verfahren "gruppieren". Diese Verfahren sollen die Ermittlung der im Steuerfestsetzungsverfahren festzusetzenden Steuer ermöglichen (Ermittlungsverfahren, Außenprüfung), sie zielen auf die Zahlung der festgesetzten Steuer (Erhebungsverfahren, Beitreibung) oder sollen durch Sanktionen die sachlich richtige Festsetzung der Steuer erzwingen (Erzwingungsverfahren, Straf- und Bußgeldverfahren).
Rz. 2
Zweck des Steuerfestsetzungsverfahrens ist es,
- den kraft Gesetzes (materiell-rechtlich) entstandenen Steueranspruch zu konkretisieren, um eine sichere Grundlage für die Steuererhebung zu schaffen; der Steuerbescheid ist daher ein deklaratorischer, kein konstitutiver Verwaltungsakt;
- bereits vor Eintritt der Zahlungsverjährung zu einer formellen, der Bestandskraft fähigen und der Festsetzungsverjährung unterliegenden Entscheidung über den Steueranspruch zu kommen.
Das Steuerfestsetzungsverfahren dient daher in besonderem Maß der Rechtssicherheit.
Rz. 3
Für das Erhebungsverfahren bildet der Steuerbescheid die Rechtsgrundlage für die Anforderung von Zahlungen oder die Durchführung von Erstattungen. Eine Zahlung auf eine in einem Steuerbescheid festgesetzte Steuerschuld oder eine Erstattung aufgrund einer Steuerfestsetzung ist daher nicht rechtsgrundlos i. S. d. § 37 Abs. 2 AO erfolgt. Das gilt auch, wenn die Steuerfestsetzung noch vorläufig, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, nicht bestandskräftig oder unrichtig ist. Der Rechtsgrund für das Erhebungsverfahren entfällt erst mit Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung. Ist die Steuerfestsetzung sachlich unrichtig, bildet sie bis zu ihrer Aufhebung den (formalen) Rechtsgrund i. S. d. § 37 Abs. 2 AO für die Erhebung der (materiell nicht entstandenen) Steuer und schließt daher eine Erstattung aus.
Rz. 4
Im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens kann die Entscheidung über den Steueranspruch durch drei Arten von Verwaltungsakten getroffen werden.
- Erlass eines Steuerbescheids;
- Erlass eines Freistellungsbescheids;
- Ablehnung eines Antrags auf Erlass eines Steuerbescheids und eines Freistellungsbescheids.
Die Behörde muss, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit einer dieser drei Entscheidungen über den Steueranspruch entscheiden; es steht ihr kein Ermessensspielraum zu, ob sie entscheiden will. Die Verpflichtung zur Steuerfestsetzung ergibt sich aus den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Demgemäß hat der Stpfl. einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Rechtsanspruch auf Entscheidung über den Steueranspruch, etwa durch Erlass eines Steuer- oder Freistellungsbescheids. Als Ausnahme hiervon kann die Steuerfestsetzung in den Fällen des § 156 AO bei Kleinbeträgen unterbleiben.