Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 5
Das Steuerfestsetzungsverfahren ist seinem Wesen nach auf die bindende und endgültige Entscheidung über den Steueranspruch gerichtet. Diese Entscheidung ergeht im Steuerbescheid. Der Steuerbescheid als eine der Bestandskraft fähige Entscheidung über den Steueranspruch stellt grundsätzlich die endgültige Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens des Steueranspruchs in einem konkreten Steuerfall gegenüber einem konkreten Stpfl. dar. Zu diesem Zweck ergeht der Steuerbescheid regelmäßig nach Ermittlung des Sachverhalts, wobei offen bleibt, wie intensiv die Ermittlung ist (lediglich Plausibilitätsprüfung der Steuererklärung einerseits, intensive Außenprüfung andererseits). Der Umfang der Ermittlung des Sachverhalts bestimmt sich dabei nach § 88 AO.
Rz. 6
Wenn der Steuerbescheid auch grundsätzlich auf die endgültige Entscheidung über den Steueranspruch gerichtet ist, bieten sich doch so wesentliche Möglichkeiten der Änderung der Steuerfestsetzung, dass der Steuerbescheid in der Praxis in vielen Fällen nur als nicht endgültige Regelung des Steuerrechtsverhältnisses erscheint. So ermöglicht § 164 AO die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, die regelmäßig durch eine Außenprüfung erfolgt. § 173 AO ermöglicht die Durchbrechung der Bestandskraft der Steuerfestsetzung bei Auftauchen neuer Tatsachen. Im strengen Sinn endgültig ist die Steuerfestsetzung daher erst, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, oder wenn und soweit über den Steueranspruch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ergangen ist. Der Steuerbescheid ist daher häufig nicht schon selbst endgültige Entscheidung, sondern zielt lediglich hierauf als eine Stufe in dem Verfahren zur Erzielung einer endgültigen Entscheidung, wobei dieses Ziel häufig erst nach mehreren anderen Verfahrensstufen (Außenprüfung, Rechtsbehelf- oder gerichtliches Rechtsschutzverfahren) bzw. nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne (Festsetzungsfrist) erreicht wird.
Rz. 7
Neben den Steuerfestsetzungen, die ihrem Wesen nach auf eine endgültige Festsetzung der Steuer gerichtet sind, gibt es Steuerfestsetzungen, die die Steuerpflicht nur für einen vorübergehenden Zeitraum regeln sollen und ihrem Wesen nach darauf gerichtet sind, durch eine endgültige Steuerfestsetzung abgelöst zu werden:
- Festsetzung von Vorauszahlungen, § 164 Abs. 1 S. 2 AO; diese Steuerfestsetzung verliert mit der endgültigen Steuerfestsetzung ihre Wirksamkeit;
- vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 AO.
Rz. 8
Möglich ist auch, dass Teile der verbindlichen Entscheidung über den Steueranspruch nicht in der Steuerfestsetzung selbst, sondern in einem vorgeschalteten Verfahren oder außerhalb der Steuerfestsetzung getroffen werden, nämlich:
- gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen;
- abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen;
- bindende tatsächliche Verständigung;
- verbindliche Auskunft;
- verbindliche Zusage;
Verbindliche Auskunft und verbindliche Zusage sind jedoch nur für die Finanzbehörde bindend. Der Stpfl. kann bei der Veranlagung oder im Rechtsbehelfsverfahren eine hiervon abweichende Ansicht vertreten, sodass diese Institute nicht schlechthin zu einer bindenden Entscheidung vor der Steuerfestsetzung führen.
Rz. 9
Zusätzlich gibt es Fälle, in denen das Steuerfestsetzungsverfahren zwar durch eine (im Regelfall bindende) Entscheidung über den Steueranspruch abgeschlossen wird, dies aber ohne Erlass eines förmlichen Steuerbescheids geschieht:
- Steueranmeldung, Entrichtung der Steuer durch Steuerzeichen oder Steuerstempler, §§ 167, 168 AO: Die Steueranmeldung ist kein Steuerbescheid, ihr wird nach § 168 AO nur durch Fiktion die Wirkung einer Steuerfestsetzung beigelegt. Bei Verwendung von Steuerzeichen und Steuerstemplern fehlt sogar die (fiktive) Wirkung einer Steuerfestsetzung.
- Im Insolvenzverfahren verdrängt das insolvenzrechtliche Anmeldungsverfahren das Steuerfestsetzungsverfahren. Wird die Steuerforderung zur Tabelle festgestellt, liegt hierin eine bindende Entscheidung, es ergeht kein Steuerbescheid mehr.
Rz. 10 – 12: einstweilen frei