Prof. Dr. Gerrit Frotscher
3.1 Allgemeines
Rz. 45
Die Anwendung des § 160 AO vollzieht sich in zwei Stufen. Den ersten Schritt bildet das Verlangen der Finanzbehörde, den Gläubiger bzw. Empfänger zu benennen. Dieses Verlangen ist ein Auskunftsersuchen und richtet sich nach §§ 90, 93 AO. Ob dieses Verlangen an den Stpfl. gerichtet wird, liegt im Ermessen der Finanzbehörde; es ist Tatbestandsvoraussetzung des § 160 AO.
Rz. 46
Ist das Verlangen der Finanzbehörde erfolglos geblieben, steht es, wie das Wort "regelmäßig" zeigt, im Ermessen der Verwaltung, ob und in welchem Umfang sie von der Regelung des § 160 AO Gebrauch machen will und den Abzug der Lasten und Ausgaben ablehnt. Auf beiden Stufen der Anwendung des § 160 AO steht der Finanzbehörde also ein Ermessen zu. Es liegt in ihrem Ermessen, ob überhaupt ein Auskunftsverlangen an den Stpfl. gerichtet wird. Bleibt es erfolglos, liegt die Bestimmung der Rechtsfolgen im Rahmen des § 160 AO wiederum im Ermessen der Verwaltung.
Rz. 47
Allgemein zur Ausübung des Ermessens vgl. § 5 AO; für die Anwendung des § 160 AO ist insbesondere bedeutsam, dass die Ausübung des Ermessens dem Zweck des § 160 AO, Steuerausfälle zu vermeiden, dienen muss. Zu beachten sind auch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit.
3.2 Ermessensausübung im Bereich des Tatbestands
3.2.1 Grundsätze der Ermessensausübung
Rz. 48
Es liegt somit im Ermessen der Finanzbehörde, ob sie an den Stpfl. das Verlangen richtet, den Gläubiger bzw. Empfänger zu benennen. Das Ermessen hinsichtlich des Verlangens, den Gläubiger bzw. Empfänger zu benennen, ist fehlerfrei ausgeübt, wenn aufgrund der Lebenserfahrung nach der Art des infrage stehenden Sachverhalts bzw. Geschäftsvorfalls der Verdacht begründet ist, dass die Nichtbenennung des Gläubigers bzw. Empfängers dazu führen kann, dass dieser die Forderungen bzw. empfangenen Zahlungen nicht versteuert. Das ist regelmäßig bei allen Geschäften der Fall, bei denen ein unlauteres Geschäftsgebaren vorliegt (z. B. Schmiergeldzahlungen, Ohne-Rechnung-Geschäfte, Schwarzarbeit, illegale Leiharbeit, Schwarzmarktgeschäfte). Entsprechendes gilt, wenn die Vermutung besteht, dass die Angaben in der Buchführung über den Empfänger nicht richtig oder nicht vollständig sind, für Zahlungen mit ungewöhnlichen Zahlungswegen, unübliche Barzahlungen höherer Beträge sowie Zahlungen an ausländische Unternehmen für Tätigkeiten im Inland. Der Verdacht des unlauteren Geschäftsgebarens ist beispielsweise auch begründet, wenn der Empfänger keinen eigenen Telefonanschluss besitzt, kein Konto unterhält und sich sein Büro in einem Wochenendhaus befindet. Generell ist die Möglichkeit der Steuergefährdung gegeben, wenn es sich bei dem Geschäftspartner um eine Domizilgesellschaft handelt.
Rz. 48a
Die Finanzbehörde kann die Benennung des Empfängers auch dann verlangen, wenn dem Stpfl. die Person bzw. die Anschrift des Empfängers nicht bekannt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Stpfl. bei Auslandsbeziehungen nach § 90 Abs. 2 AO zur Sachverhaltsermittlung und Beschaffung und Vorlage von Beweismitteln verpflichtet ist. Wenn der Stpfl. sich auf Geschäftsbeziehungen mit Personen einlässt, die er nicht oder nicht ausreichend kennt, kann er den sich daraus ergebenden Steuerfolgen nicht mit dem Hinweis entgehen, er kenne den Empfänger nicht und könne ihn daher nicht benennen.
Rz. 48b
In die Ermessenserwägungen ist einzubeziehen, ob es sich bei dem Aufwand, der zur Anwendung des § 160 AO führt, um sofort abziehbare Betriebsausgaben oder um Abschreibungen handelt, die sich u. U. erst längere Zeit nach der Ausgabe steuerlich auswirken. Ist seit der Ausgabe ein längerer Zeitraum verstrichen, kann das Benennungsverlangen für den Veranlagungszeitraum der Abschreibung unzumutbar und damit ermessensfehlerhaft sein.
Rz. 49
Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn sich die Finanzbehörde mit dem Benennungsverlangen an denjenigen hält, der die Möglichkeit gehabt hätte, sich über den wirklich Berechtigten Kenntnis zu verschaffen. Dabei braucht der Stpfl. nicht in der Absicht oder in dem Bewusstsein gehandelt zu haben, dem Gläubiger bzw. Empfänger die Nichtversteuerung zu ermöglichen. Ihm braucht auch eine Steuergefährdung nicht bewusst gewesen zu sein. Ein subjektiver Tatbestand in irgendeiner Form ist nicht erforderlich. Erforderlich ist lediglich, dass für den Stpfl. bei vernünftiger Beurteilung der Umstände des Geschäftsabschlusses erkennbar war, dass die angebotene Leistung nicht von seinem Geschäftspartner, sondern von einem Dritten erbracht wurde.
Rz. 50
Für die fehlerfreie Ermessensausübung genügt die objektive Möglichkeit einer Steuergefährdung.
Rz. 51
Andererseits ist ein Benennungsverlangen ermessensfehlerhaft, soweit sich der Stpfl. im Rahmen ein...