Prof. Dr. Gerrit Frotscher
1.3.1 Wirtschaftslenkende Regelungen
Rz. 15
Soweit andere Gesetze ausdrückliche Billigkeitsregelungen enthalten, gehen diese den §§ 163, 227 AO vor. Soweit jedoch diese speziellen Billigkeitsregelungen nicht eingreifen, kann auf die Vorschriften der AO zurückgegriffen werden.
Rz. 16
Neben §§ 163, 227 AO gibt es andere Vorschriften, die ebenfalls eine abweichende Festsetzung der Steuer oder ihren Erlass vorsehen, die aber auf anderen Gründen als Billigkeitserwägungen beruhen. So ist nach § 34c Abs. 5 EStG ein ganzer oder teilweiser Erlass von Steuern bzw. eine Pauschalbesteuerung bei ausländischen Einkünften möglich, jedoch nicht aus Billigkeitsgründen, sondern weil es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig oder die Besteuerung besonders schwierig ist.
Eine ähnliche Regelung enthält § 50 Abs. 4 EStG, wonach die Steuer bei beschränkter Steuerpflicht bei sportlichen Wettkämpfen oder dem Auftritt ausländischer Kulturvereinigungen erlassen oder abweichend mit einem Pauschbetrag festgesetzt werden kann, wenn dies in besonderem öffentlichen Interesse liegt.
Rz. 17
Ähnlich ist die Vorschrift des § 26 Abs. 3 UStG konzipiert. Nach § 26 Abs. 3 UStG kann die USt für grenzüberschreitende Beförderungen im Luftverkehr niedriger festgesetzt oder erlassen werden. Regelungsgrund ist nicht sachliche oder persönliche Billigkeit, sondern Wirtschaftslenkung und Subvention. Es handelt sich also nicht um Billigkeitsmaßnahmen.
Rz. 18
Da sowohl bei § 34c Abs. 5 EStG, bei § 50 Abs. 4 EStG als auch bei § 26 Abs. 3 UStG keine Billigkeitsmaßnahme vorliegt, bildeten §§ 163, 227 AO keine Rechtsgrundlage; es mussten also spezielle Rechtsgrundlagen geschaffen werden. Neben den Maßnahmen nach § 34c Abs. 5 EStG, § 50 Abs. 4 EStG und § 26 Abs. 3 UStG sind daher auch Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163, 227 AO möglich. Da die Vorschriften jeweils unterschiedliche Regelungsgründe haben, schließen sie sich gegenseitig nicht aus.
1.3.2 Billigkeitsmaßnahmen bei der Grundsteuer
Rz. 19
Besondere Vorschriften zu Billigkeitsmaßnahmen wegen sachlicher Unbilligkeit der GrSt stellen §§ 32, 33 GrStG, nach dem GrSt-ReformG §§ 32-34 GrStG-Entwurf, dar. Bei Vorliegen der Voraussetzungen besteht nach diesen Vorschriften ein Rechtsanspruch auf den Erlass der GrSt, es handelt sich also nicht um eine Ermessensentscheidung. Diese Vorschriften enthalten die folgenden Erlasstatbestände.
Rz. 20
Nach § 32 Abs. 1 GrStG ist die GrSt bei Grundbesitz zu erlassen, dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt (z. B. Baudenkmäler), bzw. für öffentliche Grünanlagen, Spiel- und Sportplätze. Bei Park- und Gartenanlagen von geschichtlichem Wert erfolgt der Erlass nur, wenn die Anlagen in einem angemessenen Umfang der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Voraussetzung für den Erlass ist jeweils, dass die Kosten regelmäßig (d. h. für die voraussehbare Zukunft) die Einnahmen übersteigen. Anzusetzen sind die tatsächlichen Einnahmen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grundbesitz zufließen; ortsübliche Einnahmen sind nicht anzusetzen. "Kosten" sind die Verwaltungs- und Betriebskosten einschließlich der normalen (linearen) Abschreibungen, die GrSt und Rücklagen für Reparaturen, nicht dagegen die Sonderabschreibungen. Nicht zu den Kosten i. d. S. gehören Eigen- und Fremdkapitalzinsen. Die Ertraglosigkeit muss nachhaltig sein, also für eine unübersehbare Zeit bestehen. Nur einige ertraglose Jahre genügen nicht. Der Erlass der GrSt erfolgt in vollem Umfang. Rechtsgrund für den Erlass ist die sachliche Unbilligkeit, die darin liegt, dass für im öffentlichen Interesse gehaltenen ertraglosen Grundbesitz GrSt zu entrichten ist. Hieraus folgt aber, dass ein Erlass der GrSt nur möglich ist, wenn die Ertraglosigkeit aus den Nutzungsbeschränkungen resultiert, die aus dem öffentlichen Interesse fließen. Kein Erlass erfolgt daher, wenn das Objekt auch ohne diese Nutzungsbeschränkungen ertraglos wäre. Die Vorschrift wird durch das GrSt-ReformG nicht verändert.
Rz. 21
Nach § 32 Abs. 2 GrStG ist für Grundbesitzer, in deren Gebäuden Gegenstände von wissenschaftlicher, künstlerischer oder geschichtlicher Bedeutung, insbesondere Sammlungen, Bibliotheken oder ähnliche Gegenstände unterhalten werden, die zum Zweck der Forschung oder Volksbildung bestimmt sind, die GrSt zu erlassen, wenn durch die Benutzung der Rohertrag nachhaltig gemindert ist. Die GrSt ist zu dem Prozentsatz zu erlassen, um den der Rohertrag gemindert ist. Rechtsgrund für die Erlassregelung ist auch hier die sachliche Unbilligkeit, die darin liegt, dass für im öffentlichen Interesse ertragsarmen Grundbesitz volle GrSt zu entrichten ist. Der Erlass ist von einer Anerkennung der wissenschaftlichen, künstlerischen oder geschichtlichen Bedeutung durch die Landesregierung oder die von ihr beauftragte Stelle abhängig. Die Gemeinde ist an diese Anerkennung gebunden. Einzelheiten vgl. Abschn. 37 GrStR. Die Vorschrift wird durch da...