Rz. 37

Antrag auf schlichte Änderung und Rechtsbehelf (Einspruch) verfolgen unterschiedliche Ziele. Der Antrag auf schlichte Änderung ermöglicht nur die punktuelle Änderung des Steuerbescheids, soweit der Antrag reicht (vgl. Rz. 33), er ermöglicht keine Verböserung. Ein Rechtsbehelf verhindert, unabhängig von den Gründen, aus denen heraus er eingelegt wurde, den Eintritt der Unanfechtbarkeit in vollem Umfang. Das bedeutet, dass der Stpfl. während des Einspruchsverfahrens weitere Gründe nachschieben kann, andererseits kann die Verwaltung verbösern.[1]

Nur der Einspruch, nicht der Antrag auf schlichte Änderung ermöglicht eine Aussetzung der Vollziehung.

Der Antrag auf schlichte Änderung muss innerhalb der Rechtsbehelfsfrist konkretisiert sein (vgl. Rz. 22); der Einspruch kann ohne eine solche Konkretisierung eingelegt werden, da er den Eintritt der Bestandskraft in vollem Umfang verhindert.

Wegen der unterschiedlichen Tragweite beider Maßnahmen kann bei unklarer Fassung nicht generell ein Einspruch bzw. Antrag auf schlichte Änderung angenommen werden; die Unklarheit ist durch Auslegung der Erklärung, erforderlichenfalls durch Rückfrage beim Stpfl. zu klären.[2] M.E. kann dem Stpfl. wegen der Möglichkeit der Verböserung nicht im Zweifel ein Einspruch "aufgedrängt" werden.

Reicht der Stpfl. nach einer Schätzung ohne weitere Anmerkungen, aber innerhalb der Rechtsbehelfsfrist die Steuererklärung ein, ist dies als Einspruch, nicht als Antrag auf schlichte Änderung zu werten.[3] Grund hierfür ist, dass der Einspruch in denkbar weitem Umfang Rechtsschutz gewährt und dass der Stpfl. nach einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ein Interesse daran hat, dass der Sachverhalt in vollem Umfang auf der Grundlage der jetzt eingereichten Steuererklärung neu überprüft wird. Dies ist nur durch einen Einspruch zu erreichen, da dieser den Eintritt der Bestandskraft in vollem Umfang hindert. Eine andere Auslegung würde den Rechtsschutz des Stpfl. in unzumutbarer Weise verkürzen.[4] Gibt der Stpfl. dagegen nach einer Einspruchsentscheidung eine Steuererklärung ab, ist dies als Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu werten. Grund hierfür ist, dass die Abgabe einer Steuererklärunng nicht als Klage angesehen werden kann und gegen eine Einspruchsentscheidung kein Einspruch zulässig ist. Daher ist die Qualifikation als Antrag auf schlichte Änderung die einzige Wertung, die dem Stpfl. Rechtsschutz gewähren kann.[5]

Ein eindeutig als Antrag auf schlichte Änderung bezeichneter Antrag darf nicht in einen Einspruch umgedeutet werden und umgekehrt.[6]

 

Rz. 38

Grundsätzlich kann der Stpfl. sowohl Einspruch einlegen als auch den Antrag auf schlichte Änderung stellen. Es fehlt jedoch das Rechtsschutzbedürfnis dafür, beide Verfahren parallel zu betreiben. Der Stpfl. muss sich entscheiden, welches Verfahren fortgesetzt werden soll; das andere Verfahren ruht. Wird das vorrangig betriebene Verfahren abgeschlossen, endet damit auch das ruhende Verfahren. Im Zweifel überlagert das Einspruchsverfahren als das weiter gehendere Verfahren das Verfahren über die schlichte Änderung.[7]

Wird das Einspruchsverfahren betrieben und droht eine Verböserung, kann der Stpfl. an sich den Einspruch zurücknehmen und das Verfahren über die schlichte Änderung betreiben. In solchen Fällen wird aber eine Änderung praktisch nicht zu erreichen sein, weil nach § 177 Saldierung der beantragten günstigen Änderung mit der drohenden Verböserung eintritt.[8]

[2] FG Berlin v. 27.5.1980, V 460/79, EFG 1981, 113; dagegen AEAO zu § 172 Nr. 2 S. 5; BFH v. 12.4.1967, VI 389/65, BStBl III 1967, 382, wonach im Zweifel ein Einspruch anzunehmen sei; maßgebend für diese Ansicht war, dass nach damaligem Recht nur der Einspruch den Eintritt der Unanfechtbarkeit hinderte; ebenso BFH v. 27.2.2003, V R 87/01, BStBl II 2003, 505, BFH/NV 2003, 958; vgl. auch Ruppel, DStR 1995, 205.
[3] A. A. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 172 AO Rz. 34.
[6] Schleswig-Holsteinisches FG v. 8.7.1971, III 20/71, EFG 1971, 612; vgl. auch FG Düsseldorf v. 4.11.1976, II 394/75 E, EFG 1977, 400.
[8] V. Wedelstädt, in Gosch, AO/FGO, § 172 AO Rz. 153.

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