Prof. Dr. Gerrit Frotscher
1.1 Allgemeines
Rz. 1
Die AO enthält in § 184 AO in einem eigenständigen Titel Bestimmungen über das Verfahren zur Festsetzung von Steuermessbeträgen. Abs. 1 verweist dabei für die Frage, in welchen Fällen Steuermessbeträge festzusetzen sind, auf die Einzelsteuergesetze; gegenwärtig sind Steuermessbeträge bei den Realsteuern (GrSt und GewSt) vorgesehen. Das Messbetragsverfahren ermöglicht es, dass die Entscheidung über die Besteuerungsgrundlagen und die Errechnung der Messbeträge auch bei den gemeindlichen Realsteuern durch die FÄ erfolgt, die aufgrund ihrer Fachkenntnis und der bei ihnen vorliegenden Unterlagen und Daten am besten hierzu geeignet sind. Bei mehreren hebeberechtigten Gemeinden werden auch unterschiedliche Entscheidungen über den Messbetrag vermieden. Durch die Messbetragsfestsetzung wird die Gemeinde in die Lage versetzt, aufgrund ihrer individuellen Hebesätze die Steuer nach dem Messbetrag festzusetzen.
Rz. 2
Steuermessbeträge können als Besteuerungsgrundlagen i. S. d. § 157 Abs. 2 AO verstanden werden. Steuermessbeträge können daher nur gesondert festgestellt werden, wenn dies gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist. Die erforderliche gesetzliche Ermächtigung zur gesonderten Feststellung der Steuermessbeträge enthält § 184 AO. Die Festsetzung von Steuermessbeträgen erweist sich damit als gesonderte Festsetzung von Besteuerungsgrundlagen, sodass sie systematisch in die §§ 179ff. AO eingeordnet werden könnte. Ein besonderer Titel in der AO für § 184 AO ist daher systematisch überflüssig.
Rz. 3
Das Realsteuerverfahren ist ein mehrstufiges Verfahren. Das FA erlässt den Gewerbe- oder Grundsteuermessbescheid, u. U. auf der Grundlage eines vorrangigen Einheitswertbescheids (GrSt). Sind an dem Messbetrag mehr als eine Gemeinde beteiligt, z. B. bei mehreren Betriebsstätten in verschiedenen Gemeinden, schließt sich das Zerlegungsverfahren durch das FA, §§ 185ff. AO, an. Ist nur eine Gemeinde beteiligt, besteht aber Streit, welcher Gemeinde der Messbetrag zuzuordnen ist, wird diese Entscheidung im Zuteilungsverfahren, § 190 AO, getroffen. Auf der Grundlage des Messbescheids, des Zerlegungsbescheids und ggf. des Zuteilungsbescheids erlässt die hebeberechtigte Gemeinde den Gewerbe- oder Grundsteuerbescheid. Das mehrstufige Verfahren gilt auch, wenn ein FA für die Festsetzung der GewSt und GrSt zuständig ist, wie das in den Stadtstaaten der Fall ist.
1.2 Rechtsentwicklung
Rz. 4
Nach Einführung der Vorschrift im Rahmen der AO-Reform ist die Vorschrift bisher nur in geringem Umfang geändert worden. Durch Gesetz v. 19.12.1985 ist klargestellt worden, dass alle Vorschriften über die Durchführung der Steuerfestsetzung anzuwenden sind. Außerdem wurde Abs. 3 mit der Information der Gemeinden neu gefasst. Durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014 ist in Abs. 2 die Verweisung auf § 163 AO angepasst worden. Außerdem wurde die Regelung auf allgemeine Verwaltungsvorschriften der obersten Bundesbehörde erweitert. Durch Gesetz v. 18,7,2016 wurden in Abs. 2 wiederum Verweisungen angepasst. Eine sachliche Änderung war damit nicht verbunden.