4.1 Allgemeines
Rz. 14
Die Geltendmachung des gesetzlichen Haftungsanspruchs gegen den Haftungsschuldner erfolgt stets durch Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO. Aus der Formulierung des § 191 Abs. 1 AO ("kann") ergibt sich hinsichtlich der Art und Weise der Geltendmachung kein Auswahlermessen.
Rz. 14a
Der Haftungsbescheid ist ein Verwaltungsakt, in dem der bestehende materielle Haftungsanspruch festgesetzt wird . Für ihn gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 118–133 AO.. Die Regelungen für die Steuerfestsetzung finden keine, auch keine entsprechende Anwendung, soweit nicht ausdrücklich die Anwendung angeordnet ist. Deshalb kann ein Haftungsbescheid auch nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO ergehen; erfolgt dies dennoch, wird vertreten, dass der Haftungsbescheid dann nichtig sei. Ebenfalls kann der Haftungsbescheid auch nicht mit einem Vorläufigkeitsvermerk gem. § 165 AO versehen werden; der Vorläufigkeitsvermerk wäre dann nichtig..
Rz. 14b
Die Geltendmachung des Haftungsanspruchs durch den Erlass des Haftungsbescheids liegt nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO ("kann") – anders als die Geltendmachung des Steueranspruchs – im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde gem. § 5 AO.
Rz. 14c
Für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs ist die Finanzbehörde befugt und verpflichtet, die "Haftungsgrundlagen", d. h. entspr. § 199 Abs. 1 AO die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse, die für den Haftungsanspruch und dessen Bemessung maßgebend sind, zu ermitteln. Dies steht nicht in ihrem Ermessen. Eine unzureichende Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen bewirkt notwendig eine fehlerhafte Ermessensentscheidung.
Die Finanzbehörde kann deshalb vom Haftungsschuldner nach § 90 Abs. 1 bzw. § 93 AO Auskunft über haftungsbegründende Tatbestände verlangen. Der Haftungsschuldner hat – wie auch der Steuerschuldner – insoweit kein Auskunftsverweigerungsrecht, d. h. im Unterschied zum Strafrecht gibt es hier kein nemo-tenetur-se-ipsum-accussare-Prinzip. Bei einer Haftung nach § 71 AO gilt dies auch, jedoch kann gem. § 393 Abs. 1 S. 2 AO die Finanzbehörde diese Mitwirkungspflicht nicht mit Zwangsmitteln i. S. v. §§ 328ff. AO durchsetzen. Die Auskunftspflicht besteht, soweit der Haftungsschuldner faktisch zur Auskunftserteilung fähig und ihm die Auskunft zumutbar ist. Auch bei Verletzung dieser Mitwirkungspflicht muss die Finanzbehörde alle ihr bekannten Umstände bei der Entscheidung berücksichtigen Sie muss sich auch im Zuge des Amtsermittlungsgrundsatzes darum bemühen, eventuell von anderer Seite die erforderlichen Informationen zu erlangen, dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit der Ermittlung der Haftungsquote. Ist dies der Finanzbehörde aber nicht möglich, geht dies zu Lasten des Haftungsschuldners, der seine Mitwirkungspflicht verletzt.
Befinden sich aber Unterlagen beim Insolvenzverwalter, ist der Haftungsschuldner, wenn er die entsprechenden Auskünfte ohne diese Unterlagen nicht aus dem Gedächtnis geben kann, nicht verpflichtet, beim Insolvenzverwalter Akteneinsicht zu nehmen. Er genügt dann seiner Mitwirkungspflicht, wenn er die Finanzverwaltung über diese Unterlagen in Kenntnis setzt. Insofern muss dann der Insolvenzverwalter die Auskunft nach § 93 AO erteilen. Der Insolvenzverwalter seinerseits ist zur Auskunft aber nicht verpflichtet, wenn er die entsprechenden Unterlagen dem Haftungsschuldner überlässt, damit dieser die Auskunft erteilen kann.
Hat der Haftungsschuldner aber einen durchsetzbaren Herausgabeanspruch bezüglich dieser Unterlagen, muss er diesen durchsetzen, sich in den Besitz der Unterlagen bringen und die Auskunft erteilen; dies gilt insbesondere gegenüber einem Steuerberater bzw. Rechtsanwalt, da dieser kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Unterlagen des Mandanten hat, auch wenn dieser ihm noch Honorar schuldet.
Rz. 14d
Die Geltendmachung des Haftungsanspruchs erfordert regelmäßig vor Erlass des Haftungsbescheids gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 AO eine Anhörung des Haftungsschuldners, sofern nicht gemäß § 91 Abs. 2 AO diese nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist. Unterbleibt diese Anhörung unberechtigt, so ist diese Verletzung des rechtlichen Gehörs für die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids unbeachtlich, wenn diese Anhörung gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO ggf. im Einspruchsverfahren nachgeholt wird. .
Rz. 14e
Ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme im Haftungsweg vorliegen, wird von der Finanzbehörde im Haftungsverfahren entschieden. Nach § 393 Abs. 1 AO braucht die Finanzbehörde im Fall der Haftung bei Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei nach § 71 AO nicht den Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abzuwarten Allerdings wird sich in der Praxis die für den Erlass des Haftungsbescheids zuständige Stelle mit der Bußgeld- und Strafsachenstelle des FA ins Benehmen setzen, ob ein strafrechtlicher Vorwurf überhaupt besteht. Insofern ist dann ein Gleichklan...