5.2.1 Geltungsbereich
Rz. 64
§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO stellt einen Auffangtatbestand dar, der die Prüfungsmöglichkeit unabhängig von den besonderen Voraussetzungen des § 193 Abs. 2 Nr. 1 und 3 AO auf alle nicht unter § 193 Abs. 1 AO fallenden Stpfl. erweitert. Er gilt damit für insbesondere für Selbständige, die nicht Freiberufler sind, und für Bezieher von Überschusseinkünften, die nicht unter § 147a AO fallen.
Die Vorschrift ermöglicht nicht nur die Prüfung von Einkünften, sondern aller für die Besteuerung relevanter Verhältnisse. Sie gilt nicht nur für die ESt, sondern auch für alle anderen Steuerarten wie ErbSt, GrESt und KfzSt, soweit das Gesetz nicht – wie z. B. in § 156 BewG – eigenständige Regelungen trifft.
§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO bietet auch die Rechtsgrundlage für die Prüfung gemeinnütziger Körperschaften im Hinblick auf die Gewährung, Versagung und Entziehung der Gemeinnützigkeit. Dies gilt auch dann, wenn die Existenz eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs oder die Frage aufgeklärt werden soll, ob dieser einen Zweckbetrieb i. S. d. §§ 65ff. AO darstellt. § 193 Abs. 1 AO greift in diesen Fällen nur ein, wenn die Möglichkeit besteht, dass der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb wegen Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 EStG einen Gewerbebetrieb darstellt. Entsprechendes gilt für die Prüfung von Betrieben gewerblicher Art i. S. d. § 4 Abs. 1 KStG.
Die Prüfungsmöglichkeit nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO steht selbstständig neben der Prüfung nach § 193 Abs. 1 i. V. m. § 194 Abs. 2 AO. Sollen die Gesellschafter einer Gesellschaft mit geprüft werden, kann die Finanzbehörde wählen, ob sie die bei der Gesellschaft durchzuführende Prüfung nach § 194 Abs. 2 AO auf die Gesellschafter ausdehnen oder nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO eine eigenständige Prüfung anordnen will.
5.2.2 Zulässigkeitsvoraussetzungen
Rz. 65
Nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO ist eine Außenprüfung zulässig, wenn
- die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und
- eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist.
Die Aufklärungsbedürftigkeit der für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, dessen Auslegung und Anwendung auf den Einzelfall uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt.
Über die Frage, ob eine Prüfung an Amtsstelle unzweckmäßig ist, hat die Finanzbehörde demgegenüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, dessen Ausübung von den Gerichten nur in den Grenzen des § 102 FGO überprüft werden kann.
Rz. 66
In der Voraussetzung, dass die steuerlichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen, unterscheidet sich die Außenprüfung als besonderes Verfahren im Rahmen der Durchführung der Besteuerung nicht von den Einzelermittlungsmaßnahmen, die das FA aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes zu ergreifen hat. Hier wie dort hat die Finanzverwaltung die für die Besteuerung bedeutsamen Verhältnisse zu ermitteln, wenn und soweit vorhandene Lücken im Sachverhalt zu schließen sind. Hier wie dort darf sie nicht "ins Blaue hinein" tätig werden, sondern braucht Anhaltspunkte dafür, dass möglicherweise eine Steuerschuld entstanden bzw. dass Steuern verkürzt oder zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen zu Unrecht gewährt oder versagt worden sind. Dass in tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung Zweifel an der Erfüllung eines Besteuerungstatbestands bestehen, ist unerheblich, weil der Zweck der Ermittlungsmaßnahmen – an Amtsstelle oder im Rahmen einer Außenprüfung – gerade darin besteht, diese Zweifel zu beheben. Es reicht daher aus, dass nach der allgemeinen Erfahrung der Finanzbehörden die Möglichkeit der Verwirklichung eines Steuertatbestands besteht.
Aufklärungsbedürftigkeit besteht insbesondere, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Stpfl. die Steuererklärungen nicht, nicht vollständig oder unrichtig abgegeben hat. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn umfangreiche Sachverhalte zu beurteilen sind, die schwierige Abgrenzungsfragen aufwerfen. Ein Aufklärungsbedürfnis kann sich auch daraus ergeben, dass ein Stpfl. hohe Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt, jedoch nur geringe Kapitaleinkünfte erklärt und keine substanziierten und nachprüfbaren Angaben zur Verwendung der Geldmittel macht. Demgegenüber begründete die Höhe der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für sich allein bis zur Einbeziehung der Stpfl. i. S. d. § 147a AO in den Anwendungsbereich des § 193 Abs. 1 AO kein (abstraktes) Aufklärungsbedürfnis i. S. von § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO.
Rz. 67
D...