1 Allgemeines
Rz. 1
§ 208a AO wurde eingeführt durch das JStG 2020. Mit dieser Vorschrift wird erstmals eine eigenständige Rechtsgrundlage geschaffen, um Vorfeldermittlungen in den Bereichen durchzuführen, in denen dem BZSt die Zuständigkeit gem. § 5 FVG übertragen ist und in denen nach Auffassung des Gesetzgebers bislang keine oder nur sehr wenige Maßnahmen zur Ermittlung und Aufdeckung unbekannter Steuerfälle stattgefunden haben. Zu diesen Aufgaben gehören neben der Erstattung und Freistellung von Abzugssteuern in Fällen mit Auslandsbezug auch der Vollzug der Versicherung- und Feuerschutzsteuer, die Besteuerung von Investmentfonds in den Fällen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 InvStG sowie für Teilbereiche der Gemeinschaftssteuern.
Damit erhält das BZSt für die in seinem Zuständigkeitsbereich befindlichen Aufgaben die gleichen Ermittlungsbefugnisse wie die FÄ und die Hauptzollämter für ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche. Da es sich bei den Vorfeldermittlungen um steuerverwaltende und nicht um strafprozessuale Tätigkeiten handelt, kann die Zuständigkeit gem. Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG auf den Bund übertragen werden. § 208a AO ist im Ergebnis die gesetzliche Grundlage für die sog. "Steuer-Taskforce", deren Einrichtung beim BZSt im Zuge des Cum-Ex-Skandals im November 2019 vom BMF angekündigt worden war.
Rz. 2
Anders als § 208 AO für die Steuerfahndung und die Behörden des Zollfahndungsdienstes regelt § 208a AO keine Zuweisung von Kompetenzen an das BZSt im Bereich der Strafverfolgung. Dementsprechend werden dem BZSt auch keine strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse durch § 208a AO eingeräumt. Diese verbleiben bei der Steuerfahndung der Landesbehörden bzw. bei den Behörden des Zollfahndungsdienstes.
2 Aufgaben des BZSt bei der Steueraufsicht (Abs. 1)
Rz. 3
§ 208a AO ist im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1a FVG zu sehen, der ebenfalls mit dem JStG 2020 neu geschaffen wurde. § 5 Abs. 1a S. 1 FVG weist dem BZSt die Aufgabe der Durchführung von Vorfeldermittlungen i. S. d. § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO für die nach § 5 Abs. 1 FVG dem BZSt übertragenen Kompetenzen zu. § 5 Abs. 1a FVG ist demnach die formelle, zuständigkeitsbegründende Vorschrift. Dagegen begründet § 208a AO die materiell-rechtliche Kompetenz des BZSt zur Erfüllung dieser zugewiesenen Aufgabe.
Mit dem vollständigen Verweis in § 5 Abs. 1a S. 1 FVG auf dessen Abs. 1 sind auch künftige Aufgaben des BZSt, die abschließend in § 5 Abs. 1 FVG aufgeführt sind, erfasst. Umgekehrt gilt das Gleiche für spätere etwaige Begrenzungen der Zuständigkeit.
Der umfangreiche Aufgabenkatalog des § 5 Abs. 1 FVG erfährt allerdings im Bereich der Zuständigkeit für die Vorfeldermittlung eine Einschränkung durch § 5 Abs. 1a S. 2 FVG. Dieser nimmt bestimmte Bereiche aus der Zuständigkeit des BZSt für die Kompetenz zur Durchführung von Vorfeldermittlungen aus. Nicht erfasst sind demnach die Fälle des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 5–7, 9, 10, 13–17, 19, 22–24, 26, 28, 28a, 30–34, 36, 38 und 42–45 FVG. Danach sind solche Aufgaben von der Kompetenz zur Durchführung von Vorfeldermittlungen ausgenommen, die das Zusammenwirken mit den Ländern oder die reine Koordinierung durch das BZSt betreffen.
3 Ermittlungsbefugnisse des BZSt bei der Steueraufsicht (Abs. 2)
Rz. 4
Durch § 208a Abs. 2 AO werden dem BZSt zur Erfüllung seiner Aufgaben die gleichen Befugnisse wie den FÄ und den Hauptzollämtern zugewiesen. Zulässig ist damit sowohl die Ermittlung bislang unbekannter Steuerfälle als auch die Ermittlung unbekannter steuerlicher Sachverhalte bei bereits bekannten Stpfl.
Demnach liegt ein "unbekannter Steuerfall" vor, wenn noch ungewiss ist, ob durch einen – ggf. noch unbekannten – Stpfl. ein Sachverhalt verwirklicht wurde, der einen – ggf. noch nicht geltend gemachten – Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis begründet hat. Der Begriff des Steuerschuldverhältnisses bezieht sich dabei auf die Reichweite der Ermittlungsbefugnis des BZSt, namentlich den in § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 1a S. 2 FVG abschließend aufgezählten Aufgabenkatalog. Ermittlungshandlungen außerhalb dieses Zuständigkeitsbereichs sind demnach i. d. R. rechtswidrig. Erlangt das BZSt im Rahmen rechtmäßiger Ermittlungen Erkenntnisse, die die Besteuerung durch die Landesfinanzbehörden betreffen und die diesen nicht bereits offenkundig bekannt sind, so teilt es diese der zuständigen Landesbehörde mit.
Rz. 5
Ermittlungshandlungen des BZSt auf Grundlage des § 208a Abs. 2 AO bedürfen, ebenso wie Handlungen nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO, eines konkreten Anlasses. Ermittlungen "ins Blaue hinein" sind unzulässig und führen zur Rechtswidrigkeit der ergriffenen Maßnahmen, was auch die zu deren Durchsetzung ergriffenen Zwangsmaßnahmen umfasst.
Ein konkreter Anlass für Vorfeldermittlungen liegt vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen, wozu auch konkrete Erfahrungen fü...