Rz. 8
§ 219 S. 1 AO enthält den Grundsatz, dass ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden darf, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ergebnislos war oder aussichtslos wäre (vgl. Vgl. Rz. 10–13). § 219 S. 2 AO enthält eine Reihe von Ausnahmen für diese Beschränkungen. Sie betreffen wichtige Fallgruppen und Haftungstatbestände, sodass in der Praxis die Ausnahmen eher die Regel sind.
2.1 Haftungsschuldner
Rz. 9
Aus der Gegenüberstellung des Steuerschuldners und des Haftungsschuldners in § 219 S. 1 AO darf nicht geschlossen werden, dass die Regelung ausschließlich die Steuerschuld bzw. den Steueranspruch betrifft, nicht dagegen die anderen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bzw. die entsprechende Schuld. Gegenstand der Haftung kann jeder Anspruch des Fiskus aus dem Steuerschuldverhältnis einschließlich der steuerlichen Nebenleistungen sein, obwohl auch § 191 AO für den Haftungsbescheid nur von Haftung "für eine Steuer" spricht. Für diesen Gesamtbereich der Haftungsschulden muss § 219 S. 1 AO Anwendung finden. Das bedeutet, dass für die Beschränkung nicht die Vollstreckungssituation beim Steuerschuldner, sondern weitgehend diejenige des Schuldners auch der anderen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis maßgebend ist.
2.2 Beschränkung der Zahlungsinanspruchnahme (§ 219 S. 1 AO)
Rz. 10
Eine Zahlungsaufforderung (Leistungsgebot; vgl. Rz. 6) an den Haftungsschuldner darf nur insoweit ergehen, als die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Schuldners des jeweiligen Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis erfolglos geblieben ist oder aussichtslos sein würde. Vor dem Erlass eines Leistungsgebots an den Haftungsschuldner muss somit grundsätzlich ein Vollstreckungsversuch in das bewegliche Vermögen gescheitert sein, also gem. §§ 285–308 AO in Sachen und/oder nach §§ 309–321 AO in Forderungen und andere Vermögensrechte. Erforderlich ist insbesondere auch, dass von der Möglichkeit einer Aufrechnung Gebrauch gemacht wird. Dies gilt auch für eine Aufrechnung in einem Insolvenzverfahren.
§ 219 Satz 1 AO findet auch Anwendung für die Haftungsschuld nach § 20 Abs. 3 ErbStG.
Rz. 11
Erfolglos ist die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen, wenn eine Pfändung durch das Nichtvorhandensein pfändbarer Gegenstände nicht möglich war oder die Verwertung keinen die Kosten übersteigenden Erlös erbracht hat. Hat die Vollstreckung lediglich zu einer Teilbefriedigung geführt, so war sie hinsichtlich des nicht beigetriebenen Teils erfolglos geblieben mit der Folge, dass der Haftungsschuldner insoweit auf Zahlung in Anspruch genommen werden kann.
Rz. 12
Ein Vollstreckungsversuch ist nicht erforderlich, wenn aufgrund getroffener Feststellungen Vollstreckungsmaßnahmen als aussichtslos einzuschätzen sind. Nicht erforderlich ist indes Gewissheit der Erfolglosigkeit. Die tatsächliche oder aus Rechtsgründen bestehende Aussichtslosigkeit muss sich für das FA aus aktuellen oder zeitnah bestätigten und zuverlässigen Informationen ergeben. Das ist z. B. der Fall, wenn der Steuerschuldner eine Vermögensauskunft (vormals eidesstattliche Versicherung) abgegeben hat und das Vermögensverzeichnis keine Vollstreckungsmöglichkeiten aufzeigt. Ebenfalls aussichtslos erscheint eine Vollstreckung in das Vermögen einer Gesellschaft, über das ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. In diesen Fällen ist dann ausnahmsweise keine Aussichtslosigkeit gegeben, wenn Schulden einer in Insolvenz gefallenen Kapitalgesellschaft noch mit Erstattungsansprüchen der Gesellschaft aufgerechnet werden können. Aussichtslosigkeit ist auch anzunehmen, wenn eine schwierige Vollstreckung im Ausland erforderlich wäre oder wenn lediglich eine Vollstreckung in eine zweifelhafte Forderung möglich ist. Für die Feststellung der Aussichtslosigkeit ist ein Vollstreckungsversuch nicht erforderlich.
Rz. 13
Eine Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen muss weder versucht worden sein noch aussichtslos erscheinen. Das folgt aus der Nennung des beweglichen Vermögens in S. 1. Es wird dies damit begründet, dass die Immobiliarvollstreckung regelmäßig schwierig, langwierig und im Einzelfall unverhältnismäßig sein kann. Auf die Aussichten einer Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen kommt es also grundsätzlich nicht an. Im Einzelfall kann jedoch die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft sein, wenn unbewegliches Vermögen in ausreichendem Maß vorhanden ist.