2.3.1 Inhalt des § 219 S. 2 AO
Rz. 14
§ 219 S. 2 AO sieht – neben den Einschränkungen der Subsidiarität des § 219 S. 1 AO – vollen Umfangs wirkende Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität vor. Diese betreffen die wichtigsten Haftungsbereiche und durchlöchern damit den Grundsatz selbst weitgehend. Die Vorschrift hebt den Vorrang der Inanspruchnahme des Schuldners eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis für folgende in der Praxis bedeutsamen Fälle auf:
- Haftung bei Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei (Rz. 16),
- Verletzung von Einbehaltungs- und Abführungspflichten (Rz. 17),
- Pflicht zur Steuerentrichtung zulasten eines anderen (Rz. 18).
Die früher ebenfalls vorgesehene Einschränkung in Fällen der Haftung nach dem ZollG ist durch das 5. Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes gestrichen worden. Aufgrund der Ersetzung des ZollG durch den ZK (jetzt ersetzt durch den Unionszollkodex, UZK) war dieser Verweis jedoch nahezu gegenstandslos. Nach dem UZK bestehen – wie bereits nach den ZK – weitgehende Sonderbestimmungen. Darüber hinaus kommt eine Haftung nach den allgemeinen Regelungen der AO in Betracht. Aus dem Bereich des § 219 AO kommen für eine Ausnahme von der Subsidiarität vor allem die Haftung nach §§ 69, 71 AO in Betracht.
Rz. 15
Die Aufzählung der Ausnahmetatbestände in § 219 S. 2 AO ist abschließend. Nur im Rahmen der Auslegung der dort angesprochenen Haftungsvorschriften könnten sich Spielräume ergeben.
2.3.2 Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei des Haftungsschuldners
Rz. 16
In den Fällen der Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei durch den Haftungsschuldner kann dieser ohne Beachtung des S. 1 sofort auf Zahlung in Anspruch genommen werden. Auch wenn die Steuerhinterziehung und die Steuerhehlerei bei ihrer Nennung nicht mit einer Paragrafenbezeichnung versehen sind, sind hier lediglich §§ 370, 374 AO gemeint. Eine Ausdehnung auf andere Steuerstraftaten oder gar Steuerordnungswidrigkeiten ist ausgeschlossen. Wenn das Gesetz die Ausnahme davon abhängig macht, dass der Haftungsschuldner eine dieser Straftaten "begangen hat", so fordert es abweichend von § 71 AO die Täterschaft des Haftungsschuldners. Eine Mittäterschaft an der Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei genügt, eine Teilnahme, also eine Anstiftung oder Beihilfe, ist dagegen nicht ausreichend. Unerheblich soll es nach BFH v. 16.3.1995, VII S 39/92, BFH/NV 1995, 950 sein, ob der Haftungsschuldner tatsächlich eine Steuerhinterziehung bzw. Steuerhehlerei begangen hat, der Haftungsbescheid wegen einer solchen Tat also zu Recht gegen ihn ergangen ist. Als Haftungsgrundlage kommen bei einer Steuerhinterziehung und einer Steuerhehlerei §§ 69, 71 AO in Betracht.
2.3.3 Einbehaltungs- und Abführungspflichten
Rz. 17
Ein Haftungsschuldner, der gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen, kann wegen seiner originären Zahlungspflicht ebenfalls ohne Beachtung der Subsidiarität sofort auf Zahlung in Anspruch genommen werden. Dies sind die Fälle der Haftung für LSt, für KapESt, für die Bauabzugsteuer, für Abzugsbeträge nach § 50a EStG und für die USt-Abzugsbeträge.
2.3.4 Pflicht zur Steuerentrichtung zulasten eines anderen
Rz. 18
Gesetzlich verpflichtet, zulasten eines anderen Steuern zu entrichten, sind vor allem die unter §§ 34, 35 AO fallenden Personen. Diese haben für die von ihnen vertretenen Stpfl. bzw. als Verwalter ihres Vermögens deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben nach § 34 Abs. 1 S. 2 AO insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. Verletzen sie diese Pflichten der Steuerentrichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig, so haften sie nach § 69 AO. Erfüllen sie dabei sogar die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei, so haften sie auch nach § 71 AO. Für diese Haftungsschuldner nach §§ 69, 71 AO lässt § 219 S. 2 AO die Hemmnisse der Subsidiarität der Zahlungsinanspruchnahme gegenüber der Inanspruchnahme des Steuerschuldners zurücktreten. Die Pflicht kann sich auch aus § 7 Abs. 2 VersStG ergeben.