Rz. 2

Das Recht zur Tilgungsbestimmung nach § 225 Abs. 1 AO und die gesetzliche Tilgungsreihenfolge gemäß § 225 Abs. 2 AO gelten nur bei freiwilligen Zahlungen (einschließlich Zahlungen aufgrund einer erteilten Einzugsermächtigung). Freiwillig sind, wie der Umkehrschluss aus § 225 Abs. 3 AO (s. dazu Rz. 9f.) ergibt, solche Leistungen, die nicht durch Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden erzwungen sind.

Die Zahlung nach einer Mahnung oder nach einer Vollstreckungsankündigung ist noch freiwilllig. Auch nach Beginn eines Vollstreckungsverfahrens kommen noch freiwillige Leistungen in Betracht, etwa Zahlungen, die – auch an einen Vollziehungsbeamten – zur Abwendung einer Sachpfändung oder zur Abwehr sonstiger Vollstreckungsmaßnahmen geleistet werden.[1] Unsicher ist, ob Freiwilligkeit noch zu bejahen ist, wenn der Stpfl. nach bereits erfolgter Sachpfändung zur Abwendung der unmittelbar bevorstehenden Versteigerung leistet.[2] Auch ein durch Duldungsbescheid[3] in Anspruch genommener Stpfl. kann noch freiwillig leisten.[4] Der Erlös aus einer Verwertungshandlung (etwa aus einer Versteigerung nach §§ 298ff. AO) stellt keine freiwillige Leistung dar. Auch die Zahlung eines Drittschuldners auf eine gepfändete Forderung ist keine freiwillige Leistung des Schuldners an das FA.[5] Ebenso handelt es sich bei der Zahlung eines Bürgen auf eine Bürgschaftsschuld und generell bei der Verwertung freiwillig gestellter Sicherheiten nicht um freiwillige Zahlungen des Stpfl.[6]

[1] BFH v. 14.10.1999, IV R 63/98, BFH/NV 2000, 357; VG Frankfurt (Oder) v. 3.3.2021, 5 K 1249/15, BeckRS 2021, 5644, BRAK-Mitt 2021, 161.
[2] Die Freiwilligkeit bejahend VG Frankfurt (Oder) v. 3.3.2021, 5 K 1249/15, BeckRS 2021, 5644, BRAK-Mitt 2021, 161; der BFH lässt die Frage ausdrücklich offen in BFH v. 14.10.1999, IV R 63/98, BFH/NV 2000, 357.
[5] BFH v. 25.2.2003, VII B 385/02, BFH/NV 2003, 882; s. zum Ganzen auch Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 225 AO Rz. 8.
[6] OVG für das Land NRW v. 6.1.2015, 14 B 198/14, KStZ 2015, 90-93, BeckRS 2015, 40610; vgl. auch Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 225 Rz. 3.

2.1.1 Bestimmungsrecht des Steuerpflichtigen (Abs. 1)

 

Rz. 3

Bei freiwilliger Zahlung auf eine von mehreren Verbindlichkeiten hat der Stpfl. das Recht zu bestimmen, welche Verbindlichkeit getilgt werden soll (Abs. 1). Diese Regelung entspricht § 366 Abs. 1 BGB; es können daher die zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen werden.[1] Leistet ein Dritter anstelle des Stpfl.[2], steht diesem (nicht dem Stpfl.) das Bestimmungsrecht zu.[3]

Die Bestimmung der Reihenfolge der Tilgung durch den Stpfl. ist eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die §§ 116 ff. BGB anzuwenden sind.[4]

Das Bestimmungsrecht kann in jeder beliebigen Form oder formlos (u. a. also schriftlich oder mündlich) ausgeübt werden. Möglich ist auch die Bestimmung durch konkludentes Handeln.[5] Entscheidend ist in allen Fällen, dass die Erklärung eindeutig bestimmt ist. Von einer konkludenten Ausübung des Bestimmungsrechts ist u. a. auszugehen, wenn ein Zahlbetrag genau dem Betrag einer der geschuldeten Summen entspricht.[6] Überreicht bzw. übersendet der Stpfl. mit einer Steueranmeldung einen Scheck mit dem Betrag der angemeldeten Steuer, so ist von einer Tilgung der angemeldeten Steuer auszugehen; eine Verrechnung durch die Finanzbehörde mit anderen Rückständen ist dann unwirksam. Ist für einen von mehreren Beträgen AdV gewährt worden, kann darin ein Indiz liegen, dass der Leistende stillschweigend die Tilgung der nicht von der AdV betroffenen Beträge bestimmt hat.[7]

 

Rz. 4

Zum Zeitpunkt der Tilgungsbestimmung: Die Bestimmung muss grds. bei der Zahlung vorliegen, sie muss also bis zur Zahlung erklärt worden sein. Nach erfolgter Zahlung ist eine (rückwirkende) Tilgungsbestimmung nicht mehr möglich; vielmehr greift dann die gesetzliche Tilgungsreihenfolge nach § 225 Abs. 2 AO.[8] Der Stpfl. kann sich allerdings bei der Zahlung die Bestimmung vorbehalten; der Vorbehalt der Bestimmung muss dann aber ausdrücklich und zweifelsfrei geschehen. In einem solchen Fall tritt die Erfüllungswirkung erst mit der Bestimmung ein, Zinsen und Säumniszuschläge laufen also vorläufig weiter.[9] Teilweise wird vertreten, dass die Bestimmung in diesem Fall in angemessener Frist zu treffen sei; anderenfalls solle die gesetzliche Tilgungsreihenfolge des Abs. 2 greifen.[10]

Ist die Willenserklärung einmal wirksam abgegeben worden, kann sie nicht mehr frei geändert oder widerrufen werden.[11] Auch eine nachträgliche Vereinbarung zwischen dem Stpfl. und der Finanzbehörde ist wohl nicht geeignet, eine getroffene Tilgungsbestimmung rückgängig zu machen.[12] Die Tilgungsbestimmung als öffentlich-rechtliche Willenserklärung kann dagegen zwar grundsätzlich etwa wegen Irrtums nach §§ 119ff. BGB angefochten werden.[13]

Eine bloße Fehlvorstellung über die steuerrechtlichen Folgen der abgegeben Tilgungsbestimmung erlaubt die Anfechtung – als reiner Motivirrtum – allerdings nicht. Für ...

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