Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 34
Das Aufrechnungsverbot des § 393 BGB, wonach sich der Schädiger von einer Forderung aus unerlaubter Handlung nicht durch Aufrechnung befreien darf, gilt grundsätzlich auch im Rahmen des § 226 AO. So darf sich die öffentliche Hand z. B. nicht von einem Anspruch nach dem Bundesentschädigungsgesetz durch Aufrechnung mit Steueransprüchen befreien. Prozessuale Kostenerstattungsansprüche fallen dann unter das Aufrechnungsverbot, wenn der Rechtsstreit eine unerlaubte Handlung zum Gegenstand hatte; im Übrigen sind sie keine Ansprüche aus unerlaubter Handlung, sie unterliegen daher nicht dem Aufrechnungsverbot des § 393 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Kostenerstattungsanspruch an den Prozessbevollmächtigten abgetreten worden ist. Die Aufrechnung ist, unter Berücksichtigung der besonderen Regeln für abgetretene Hauptforderungen (Rz. 26), zulässig.
Rz. 35
Die Forderung des aufrechnenden Gläubigers darf nach § 226 Abs. 2 AO nicht verjährt sein, wenn es sich hierbei um einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis handelt. Diese Bestimmung geht § 390 S. 2 BGB vor. Grund ist, dass die Verjährung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis nicht nur zu einer Einrede, sondern zum Erlöschen des Anspruchs führt. Ist dagegen eine zivilrechtliche Hauptforderung des Aufrechnungsgegners verjährt, kann nach § 390 S. 2 BGB trotzdem aufgerechnet werden, wenn die Aufrechnungslage vor Eintritt der Verjährung entstanden ist.
Rz. 36
Auch das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB (unpfändbare Forderung) ist zu beachten. LSt-Erstattungsansprüche sind jedoch nicht Bestandteil des Arbeitslohns, sondern selbstständige öffentlich-rechtliche Ansprüche, für die die Pfändungsschutzbestimmungen der §§ 850ff. ZPO nicht gelten.
Im Ergebnis ist diese Rechtslage nicht befriedigend, da sie den Pfändungsschutz von den Zufälligkeiten der verfahrensrechtlichen Situation abhängig macht. Bei Reduzierung der Lohnsteuer durch elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale ist der ausgezahlte Arbeitslohn höher, so dass der der Steuerermäßigung entsprechende Betrag des Arbeitslohns dem Pfändungsschutz unterliegen würde, während ohne diese Ermäßigung der Lohnsteuer ein Erstattungsanspruch in gleicher Höhe gegen das FA entstehen würde, der nicht dem Pfändungsschutz unterliegt und daher durch Aufrechnung getilgt werden kann. Systematisch lässt sich diese unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen. Eine analoge Anwendung der Pfändungsschutzbestimmungen würde zu überzeugenderen Ergebnissen führen.
Rz. 37
Weitere Aufrechnungsverbote gibt es nicht; insbesondere gibt es keine Kategorie von Steueransprüchen, die von der Aufrechnung ausgeschlossen wäre. Sind die Ansprüche, mit denen oder gegen die die Finanzbehörde aufrechnet, in gesetzmäßiger Weise entstanden, stellt die Aufrechnung grundsätzlich keine unzulässige Rechtsausübung dar. Das gilt auch, wenn ein LSt- oder ESt-Erstattungsanspruch nur deshalb entstanden ist, weil Verluste nicht beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt worden sind. Ein Aufrechnungsverbot ist daraus nicht abzuleiten. Es gibt auch kein Aufrechnungsverbot in dem Sinn, dass die Finanzbehörde die Tilgungsreihenfolge des § 225 Abs. 1, 2 AO einhalten müsste. Diese Vorschrift gilt nur für die "freiwillige Zahlung", nicht für die Aufrechnung (hierzu Rz. 14).
Ist über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet, ist die Einschränkung der Aufrechnung durch §§ 94ff. InsO zu beachten.