3.1 Prioritätsgrundsatz
Rz. 6
Unter mehreren örtlich zuständigen Finanzbehörden ist grundsätzlich diejenige zur Entscheidung berufen, die zuerst mit der Sache befasst worden ist. Dabei ist der Wortlaut der Vorschrift insofern zu eng gefasst, als § 25 AO nicht nur darüber bestimmt, welche Finanzbehörde "entscheidet", sondern die Zuständigkeit für das gesamte Verwaltungsverfahren festlegt.
Mit der Sache befasst worden ist eine Finanzbehörde, wenn sie irgendwelche Tätigkeiten – z. B. Ermittlungshandlungen – in Bezug auf die Sache entfaltet hat oder wenn diese von einem Stpfl. an sie herangetragen worden ist. Ein Tätigwerden nach außen ist nicht erforderlich; ein Verwaltungsverfahren i. S. v. § 86 AO braucht noch nicht begonnen zu haben.
Bei laufend veranlagten Steuern bleibt die in der Vergangenheit tätig gewordene Finanzbehörde so lange mit der Sache befasst, bis sie die Akten an eine andere Behörde abgegeben hat. In Fällen der Gesamtrechtsnachfolge ist daher das für den Rechtsvorgänger zuständig gewesene FA das zuerst mit der Sache befasste, wenn es zumindest für einen der Rechtsnachfolger zuständig ist. Entsprechendes gilt für die Zusammenveranlagung von Ehegatten bzw. Lebenspartnern im Trennungsjahr. Solange einer der Ehegatten bzw. Lebenspartner seinen Wohnsitz im Bezirk des bisher zuständigen FA behält, bleibt dieses als das zuerst befasste FA für beide Ehegatten bzw. Lebenspartner zuständig. In anderen Fällen ist dasjenige FA zuerst befasst, an das das bisher für den Rechtsvorgänger bzw. die Ehegatten oder Lebenspartner zuständige FA die Akten abgibt.
Die mit der Erstbefassung begründete Zuständigkeit der einen Behörde führt nicht zur Unzuständigkeit der anderen Behörde(n). Deren Zuständigkeit ruht lediglich mit der Folge, dass sich die beteiligten Behörden noch auf die Zuständigkeit einer anderen Behörde einigen können. Die Zuständigkeit der anderen Behörden endet erst dann, wenn die zuerst befasste Behörde entschieden oder das Verwaltungsverfahren auf andere Weise abgeschlossen hat.
3.2 Abweichende Vereinbarung der Zuständigkeit
Rz. 7
Da die Zuständigkeitsbestimmung nach Maßgabe der Erstbefassung zu Zufallsergebnissen führen kann, die weder der Verwaltungsökonomie dienen noch den Interessen der Beteiligten entsprechen, sieht § 25 S. 1 AO die Möglichkeit vor, dass sich die zuständigen Finanzbehörden auf eine andere zuständige Finanzbehörde einigen. Die entsprechende Vereinbarung muss von allen an sich zuständigen Behörden gemeinsam getroffen werden. Sie ist – anders als eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO – nicht von der Zustimmung des Betroffenen abhängig. Dessen schutzwürdige Belange sind jedoch zu berücksichtigen.
Die Zuständigkeitsvereinbarung kann auch eine Aufteilung der Zuständigkeit nach Sachgebieten (z. B. Steuerfestsetzung und Außenprüfung) vorsehen. Eine Vereinbarung kann auch zwischen Wohnsitz- und Betriebs-FA über gesonderte Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO mit Ausschluss des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffen werden. Da die Zuständigkeit der anderen Finanzbehörden mit der Entscheidung der zuerst befassten Finanzbehörde endet, kann die Zuständigkeitsvereinbarung nicht mehr für ein daran anschließendes Rechtsbehelfsverfahren getroffen werden.
3.3 Bestimmung der Zuständigkeit durch die Aufsichtsbehörde
Rz. 8
Die Zuständigkeitsvereinbarung zwischen den beteiligten Finanzbehörden kann durch eine entsprechende Bestimmung der gemeinsamen fachlich zuständigen Aufsichtsbehörde ersetzt werden. Auch die Aufsichtsbehörde kann nur eine der an sich örtlich zuständigen Finanzbehörden mit der Entscheidung betrauen.