Rz. 127
Ist ein gegenseitiger Vertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht vollständig erfüllt, wird er mit der Eröffnung des Verfahrens zu einem nicht mehr erfüllbaren Vertrag. Der Vertragspartner kann seinen Anspruch auf die Erfüllung des Vertrags gegen den Schuldner nicht mehr durchsetzen. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers wird deshalb zur Insolvenzforderung. Aufgrund dieser Rechtslage finden sich in der InsO besondere Regelungen für die Fortsetzung solcher Verträge, die dem Schutz des Vertragspartners des Insolvenzschuldners dienen. Nach § 103 InsO hat der Insolvenzverwalter das Wahlrecht, den durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unerfüllbaren Vertrag in einen erfüllbaren umzugestalten. Diese Erklärung des Insolvenzverwalters hat zur Folge, dass dieser Vertrag wie ein vom Insolvenzverwalter abgeschlossener Vertrag behandelt wird. Damit wird auch die Forderung von einer Insolvenzforderung in eine Masseverbindlichkeit umgewandelt. Übt der Insolvenzverwalter sein Optionsrecht nicht aus, bleibt es bei der alten Rechtslage.
Rz. 128
Die umsatzsteuerliche Behandlung nicht vollständig erfüllter Verträge folgt der Behandlung nach der zivilrechtlichen Rechtslage. Verlangt der Insolvenzverwalter nicht die Erfüllung des Vertrags, erfolgt umsatzsteuerrechtlich keine Rückabwicklung der bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Erfüllung. Die bis zu diesem Zeitpunkt erbrachte Leistung verbleibt bei dem Empfänger. Damit erwirbt der Empfänger die Verfügungsmacht über diese Teilleistung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die vertragliche Erfüllungspflicht beschränkt sich kraft Gesetzes auf die bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung. Die Gegenleistung ist hierbei, soweit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht erbracht, der Schadensersatzanspruch. Das Austauschverhältnis des Vertrags bleibt als Grundlage des Schadensersatzanspruchs bestehen. Der Empfänger der Leistung erhält diese nicht unentgeltlich, sondern muss als Schadensersatz den anteiligen Vergütungsanspruch erfüllen. Es handelt sich also nicht um echten Schadensersatz im umsatzsteuerlichen Sinn, der nicht steuerbar wäre, sondern um eine Gegenleistung. Die Teilleistung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist daher steuerbar.
Rz. 129
Wählt der Insolvenzverwalter gem. § 103 InsO die Erfüllung des Vertrags, ist Ausgangspunkt für die umsatzsteuerliche Beurteilung ebenfalls die zivilrechtliche Rechtslage. Das bereits vor der Eröffnung des Verfahrens bestehende Rechtsverhältnis wird durch das Handeln des Insolvenzverwalters zu einem Rechtsverhältnis, das als nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründet gilt. Der USt-Anspruch aus der vollständigen Leistung wie auch die Gegenleistung sind damit erst nach der Insolvenzeröffnung begründet. Damit gehört auch die USt-Schuld zu den Masseverbindlichkeiten. Für die Insolvenzmasse kann es deshalb von Vorteil sein, wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllung ablehnt und über die dann noch ausstehende Leistung einen neuen Vertrag abschließt. Dadurch wird die bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründete Leistung Insolvenzforderung und die Leistung aufgrund des neuen Vertrags Masseverbindlichkeit.
Rz. 130
Fällt der Unternehmer als Erbringer einer Bauleistung in Insolvenz und lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Bauvertrags ab, liegt in diesem Zeitpunkt eine umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige Werkleistung vor, da das unfertige Werk zu diesem Zeitpunkt in die Verfügungsmacht des Bestellers übergeht. Die damit entstehende USt-Forderung gegen den insolventen Unternehmer ist Insolvenzforderung, da der Anspruch vor der Insolvenzeröffnung begründet wurde. Wählt der Insolvenzverwalter demgegenüber die Vertragserfüllung, beruht die USt auf der Fertigstellung des Werks und damit auf einer Handlung des Insolvenzverwalters. Die USt-Forderung ist somit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet und als Masseverbindlichkeit anzusehen. Dies gilt ebenso für den Teil der Leistung, der vor der Eröffnung des Verfahrens erbracht wurde. Auch in diesem Fall kann der Insolvenzverwalter die Einstufung der gesamten USt als Masseverbindlichkeit dadurch vermeiden, dass er die Erfüllung des Vertrags ablehnt und dann mit dem Besteller einen neuen Vertrag schließt.
Rz. 131
Fällt der Besteller des Werks in Insolvenz, gelten die gleichen Grundsätze. Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab, geht zu diesem Zeitpunkt die Verfügungsmacht an dem unfertigen Werk auf den Besteller über; der Unternehmer hat den Umsatz mit der tatsächlich erhaltenen Gegenleistung als Bemessungsgrundlage zu versteuern.
Rz. 132
Bei anderen Werkverträgen als solchen über Bauleistungen ist zu unterscheiden, ob es sich um eine Werklieferung oder Werkleistung handelt. Bei Werkleistungen, etwa Reparaturen, geht das Material in das Eigentum des Bestellers über. Es gelten also die Ausführungen zu den bereits dargestellten Werkleistungen...