Rz. 5
§ 258 AO hat zwei Tatbestandsvoraussetzungen. Für eine einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung muss die Vollstreckung bereits begonnen haben und diese muss im Einzelfall unbillig sein. Keine zwingende Voraussetzung ist demnach nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Antragstellung durch den Vollstreckungsschuldner.
2.1 Beginn der Vollstreckung
Rz. 6
Aus der Gesetzesformulierung ergibt sich zunächst, dass Maßnahmen nach § 258 AO erst in Betracht kommen, wenn die Vollstreckung bereits eingeleitet worden ist. Zu den Voraussetzungen für den Beginn der Vollstreckung s. § 254 AO Rz. 2ff. Dies bedeutet indes nicht, dass bereits konkrete Vollstreckungsmaßnahmen in die Wege geleitet worden sein müssen. Darüber hinaus darf die Vollstreckung jedoch auch nicht bereits wieder beendet sein. Anträge auf Vollstreckungsaufschub, die zu früh oder zu spät gestellt werden, sind deshalb unzulässig. Allerdings kann auch nach Beendigung der Vollstreckung weiterhin ein Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme bestehen, vor allem im Rahmen einer Klärung von Staatshaftungsansprüchen, nur eben nicht für Zwecke des Vollstreckungsaufschubs.
2.2 Unbilligkeit
Rz. 7
Die Vollstreckung muss darüber hinaus im Einzelfall unbillig sein. Unbilligkeit ist gemäß der Definition des BFH zu diesem unbestimmten Rechtsbegriff dann gegeben, wenn die Vollstreckung oder einzelne Vollstreckungsmaßnahmen dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würden, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte. Der Begriff der Unbilligkeit setzt sich damit aus verschiedenen Komponenten zusammen, die kumulativ gegeben sein müssen. Es muss ein unangemessener Nachteil gegeben sein, der durch ein kurzfristiges Zuwarten oder eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden kann. Die aktuelle wirtschaftliche Situation des Vollstreckungsschuldners allein für sich betrachtet ist nicht maßgeblich, sondern die Vollstreckung an sich muss unbillig sein.
2.2.1 Unangemessener Nachteil
Rz. 8
Beim Begriff des unangemessenen Nachteils stellt wie der Begriff der Unbilligkeit einen unbestimmten Rechtsbegriff dar. Von einem unangemessenen Nachteil wird dabei nach wohl allgemeiner Ansicht auszugehen sein, wenn die Nachteile des Vollstreckungsschuldners im konkreten Einzelfall als unangemessen anzusehen sind. Es ist deshalb in jedem Einzelfall zu prüfen, ob von einem solchen unangemessenen Nachteil ausgegangen werden kann. Hierbei sind die Interessen des Vollstreckungsschuldners und der Allgemeinheit an einer Durchführung der jeweiligen Vollstreckung gegeneinander abzuwägen.
Rz. 9
Aufgrund der im Einzelfall zu treffenden Entscheidung sind Aussagen darüber, wann ein unangemessener Nachteil vorliegt, allgemein nur schwer zu treffen. In einigen Fallgruppen, die aus der Rechtsprechung und der Literatur abgeleitet werden können, kann jedoch grundsätzlich von einem unangemessenen Nachteil ausgegangen werden:
- Die Vollstreckungsmaßnahmen führen zu einer wirtschaftlichen Existenzvernichtung des Vollstreckungsschuldners etwa durch eine drohende Insolvenz.
- Die Vollstreckungsmaßnahmen führen zu einem Verlust des Arbeitsplatzes oder von Erwerbsmöglichkeiten.
- Die Vollstreckungsmaßnahmen erfordern, dass der Vollstreckungsschuldner verlustreiche Notverkäufe tätigt; dies gilt aber nur eingeschränkt, da gewisse Verluste bei einem Verkauf von Gegenständen im Rahmen einer Vollstreckung in Kauf genommen werden müssen.
- Die Vollstreckung erfolgt zu einer Unzeit, etwa weil der Vollstreckungsschuldner durch ein Naturereignis oder ähnliche Umstände, auf die er keinen Einfluss hat, betroffen ist. Zu denken ist hier etwa an Tierseuchen, Überschwemmungen usw.
- Die Vollstreckung erfolgt, obwohl eine Gegenforderung des Vollstreckungsschuldners besteht, die dazu führt, dass das, was aufgrund des zu vollstreckenden Anspruchs herausverlangt wird, alsbald wieder an den Vollstreckungsschuldner zurückzugewähren ist; hierbei handelt es sich um einen Ausfluss des allgemeinen Rechtsgrundsatzes "dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est", der aus Tr...