Dr. Zacharias-Alexis Schneider
2.1 Entstehung der Forderung vor Nießbrauchbestellung
Rz. 3
§ 737 ZPO (Zwangsvollstreckung bei Vermögens- oder Erbschaftsnießbrauch)
(1) Bei dem Nießbrauch an einem Vermögen ist wegen der vor der Bestellung des Nießbrauchs entstandenen Verbindlichkeiten des Bestellers die Zwangsvollstreckung in die dem Nießbrauch unterliegenden Gegenstände ohne Rücksicht auf den Nießbrauch zulässig, wenn der Besteller zu der Leistung und der Nießbraucher zur Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt ist.
(2) Das Gleiche gilt bei dem Nießbrauch an einer Erbschaft für die Nachlassverbindlichkeiten.
Gem. § 1086 S. 1 BGB kann der Gläubiger des Nießbrauchbestellers ohne Rücksicht auf den Nießbrauch an einem Vermögen die Befriedigung aus den dem Nießbrauch unterliegenden Gegenständen verlangen, soweit seine Forderung vor der Bestellung des Nießbrauchs entstanden ist. Als Forderungen kommen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Betracht. Deren Entstehung richtet sich nach den Einzelsteuergesetzen oder nach § 38 AO. Um den Fiskus mit privaten Gläubigern gleichzustellen, gelten darüber hinaus auch die zu § 1086 S. 1 BGB und § 737 ZPO entwickelten Maßstäbe und somit vergleichbare Grundsätze wie im Insolvenzrecht. Ausreichend ist es daher, wenn der Rechtsgrund für die Entstehung der Steuerforderung vor dem Zeitpunkt der Bestellung des Nießbrauchs zumindest gelegt ist. Aus diesem Grund fallen auch bedingte oder betagte Forderungen in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Wird wegen einer nach Bestellung des Nießbrauchs entstandenen Forderung vollstreckt, steht dem Nießbraucher hinsichtlich jedes einzelnen gepfändeten Gegenstands die Widerspruchsklage nach § 262 AO zu. Mit der Beendigung des Nießbrauchs entfällt im Übrigen die Anwendbarkeit des § 264 AO.
Rz. 4
Für die Dauer des Nießbrauchs haftet der Nießbrauchsberechtigte neben dem Besteller gesamtschuldnerisch für Zinsen solcher Forderungen gegen den Besteller, die vor Bestellung des Nießbrauchs an dem Vermögen entstanden und verzinslich waren. Diese Haftung ist durch Haftungsbescheid nach §§ 191, 219 AO geltend zu machen
2.2 Vollstreckbarer Verwaltungsakt und Duldungsbescheid
Rz. 5
Nach § 264 AO i. V. m. § 737 Abs. 1 ZPO ist die Vollstreckung in den Nießbrauchsgegenstand zulässig, wenn hierfür ein vollstreckbarer Verwaltungsakt mit Leistungsgebot gegen den Nießbrauchbesteller als Grundlage vorhanden ist und gegen den Nießbraucher ein Duldungsbescheid gem. § 191 Abs. 1 S. 1 AO vorliegt. Als vollstreckbare Verwaltungsakte kommen beispielsweise Steuerbescheide, Haftungsbescheide, Zinsbescheide etc. i. S. v. § 218 Abs. 1 AO in Betracht. Die Unanfechtbarkeit oder gar die Bestandskraft der Festsetzung ist für die Vollstreckung nicht erforderlich.
Rz. 6
Gegen den Nießbraucher muss ein Duldungsbescheid i. S. v. § 191 Abs. 1 i. V. m. § 1086 BGB vorliegen. Durch den Duldungsbescheid wird der Nießbraucher zum Vollstreckungsschuldner. Gegen eine Vollstreckung ohne Duldungsbescheid stehen dem Nießbraucher die Widerspruchsklage nach § 262 AO sowie der Einspruch zu. Einwendungen gegen den Duldungsbescheid – wie etwa, dass dem Nießbraucher die Belastung des im Wesentlichen gesamten Vermögens nicht bewusst gewesen ist – können dagegen nach § 256 AO nur im Verfahren gegen den Duldungsbescheid und nicht im Vollstreckungsverfahren geltend gemacht werden.