3.1 Zweck der Regelung
Rz. 6
Im Fall der unentgeltlichen Übertragung von Vermögensgegenständen von einem Gesamtschuldner auf einen anderen kann der Zuwendungsempfänger unter den in § 278 Abs. 2 AO näher geregelten Voraussetzungen über den sich nach § 278 Abs. 1 AO ergebenden Betrag hinaus in Anspruch genommen werden. Die Regelung soll verhindern, dass die Vollstreckung dadurch erschwert oder vereitelt wird, dass der Gesamtschuldner, der die Steuer nach der Aufteilung ganz oder zum überwiegenden Teil schuldet, unentgeltlich Vermögensgegenstände auf einen anderen Gesamtschuldner überträgt. Anders als die vergleichbaren Zwecken dienende Anfechtung nach § 3 AnfG oder § 133 InsO ist der Anwendungsbereich des § 278 Abs. 2 AO aber nicht auf Vermögensübertragungen beschränkt, die dazu bestimmt sind, den Steuergläubiger zu benachteiligen. Damit können Vollstreckungshindernisse durch Zuwendungen zwischen zusammen veranlagten Steuerschuldnern unter erleichterten Voraussetzungen beseitigt werden.
Im Unterschied zur Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz, die auf Duldung der Vollstreckung in den übertragenen Vermögensgegenstand gerichtet ist, sieht § 278 Abs. 2 AO keine gegenständlich beschränkte, sondern eine betragsmäßige Erweiterung der Vollstreckungsmöglichkeit bis zur Höhe des gemeinen Werts des unentgeltlich zugewendeten Gegenstands vor. Die Anwendung der Vorschrift setzt damit nicht voraus, dass sich die übertragenen Vermögensgegenstände noch im Vermögen des Zuwendungsempfängers befinden.
3.2 Unentgeltliche Zuwendung von Vermögensgegenständen
Rz. 7
§ 278 Abs. 2 AO setzt die Zuwendung von Vermögensgegenständen voraus.
Der Begriff des Vermögensgegenstands ist weit auszulegen. Er umfasst nicht nur aktive Wirtschaftsgüter wie Sachen, Forderungen und andere Rechte, sondern kann auch in der Befreiung von einer Verbindlichkeit oder in dem Verzicht auf die Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach § 426 Abs. 2 BGB bestehen.
Unter Zuwendung ist – bei aktiven Wirtschaftsgütern – jede mit einem Wechsel der dinglichen Rechtszuständigkeit verbundene Übertragung eines Vermögensgegenstands aus dem Vermögen eines Gesamtschuldners in das Vermögen eines anderen Gesamtschuldners zu verstehen. Bei der Befreiung von einer Verbindlichkeit muss diese gegenüber dem Gläubiger des anderen Gesamtschuldners zum Erlöschen gebracht werden. Die bloße Freistellungszusage reicht nicht aus.
Rz. 8
Unentgeltlich ist eine Zuwendung, soweit sie ohne oder ohne die marktübliche Gegenleistung erfolgt. Damit fallen auch gemischte Schenkungen, bei denen ein Vermögensgegenstand zu einer deutlich unter dem gemeinen Wert liegenden Gegenleistung übertragen wird, unter § 278 Abs. 2 AO. Wird ein Grundstück, das mit einer Grundschuld belastet ist, schenkungsweise übertragen, stellt die Übernahme der dinglichen Belastung keine Gegenleistung i. S. eines entgeltlichen Erwerbs dar.
Maßgebend ist die objektive Unentgeltlichkeit, die nicht durch subjektive, im Eheverhältnis liegende Motive für die Zuwendung infrage gestellt werden kann. Daher wird auch die sog. unbenannte Zuwendung unter Ehegatten, die zivilrechtlich nicht als Schenkung i. S. d. § 515 Abs. 1 BGB angesehen wird, im Einklang mit der schenkungsteuerrechtlichen Beurteilung als unentgeltliche Zuwendung i. S. d. § 278 Abs. 2 AO behandelt. Leistungen zum Zwecke des vorweggenommenen Zugewinnausgleichs stellen keine unentgeltlichen Zuwendungen dar, wenn sie zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem ein entsprechender Anspruch durch Teilurteil oder notarielle Vereinbarung zivilrechtlich wirksam entstanden ist.
Die Zahlung der laufenden Kosten des von Ehegatten gemeinsam bewohnten Hauses durch den Alleinverdiener-Ehegatten ist auch dann keine unentgeltliche Zuwendung an den anderen Ehegatten, wenn das Haus im Alleineigentum des anderen Ehegatten steht. Es handelt sich insoweit um Unterhaltsleistungen nach §§ 1360, 1360a BGB.
Auch die vollständige und endgültige Tragung der Zins- und Tilgungsleistungen auf ein von den Eheleuten gemeinsam aufgenommenes Darlehen stellt keine unentgeltliche Zuwendung des Alleinverdiener-Ehegatten dar, weil dieser damit eine eigene Verpflichtung gegenüber der Bank erfüllt und ein Ausgleichsanspruch gegen den anderen Ehegatten nach § 426 Abs. 2 BGB im Rahmen einer intakten Ehe regelmäßig ausscheidet, wenn nur ein Ehegatte in der Lage ist, die Zins- und Tilgungsleistungen zu erbringen.