Rz. 5
Vollstreckt werden darf zwar nur in das Eigentum des Vollstreckungsschuldners. Bei Verstoß hiergegen ist die Pfändung zwar wirksam, der Eigentümer kann jedoch sein Recht im Weg der Drittwiderspruchsklage nach § 262 AO geltend machen. Der Vollziehungsbeamte braucht aber nicht zu prüfen, wer Eigentümer ist. Er kann alle Sachen im Gewahrsam des Schuldners pfänden und es dem Eigentümer überlassen, sein Eigentum geltend zu machen. Die Pfändung ist dann zwar rechtswidrig und aufzuheben, der Vollziehungsbeamte hat aber keine Amtspflichtverletzung begangen. Eine Amtspflichtverletzung begeht der Vollziehungsbeamte nur, wenn es offensichtlich ist, dass der Gegenstand nicht dem Schuldner gehört. Voraussetzung der Vollstreckung ist der Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners. Gewahrsam ist die unmittelbare tatsächliche Gewalt über die Sache. Der Begriff des Gewahrsams ist enger als der des Besitzes. Der mittelbare Besitzer und der Erbe nach § 857 BGB haben so etwa keinen Gewahrsam, ebenso grundsätzlich nicht der Besitzdiener. Auch ein kaufmännisches Traditionspapier (Ladeschein, Lagerschein, Konnossement) vermittelt keinen Gewahrsam. Eine Pfändung nach § 286 Abs. 1 AO setzt Alleingewahrsam des Vollstreckungsschuldners voraus oder, wenn Mitgewahrsam vorliegt, dass jeder Mitgewahrsamsinhaber auch Vollstreckungsschuldner oder zur Herausgabe bereit ist. Ist ein Mitgewahrsamsinhaber kein Vollstreckungsschuldner, richtet sich die Pfändung nach § 286 Abs. 4 AO.
Rz. 6
Maßgebend für den Gewahrsam sind die tatsächlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung. So hat etwa ein Inhaber eines Bankschließfachs i. d. R. Alleingewahrsam; hat der Kunde jedoch zu dem Schließfach nur bei Mitwirkung der Bank Zutritt, liegt Mitgewahrsam des Kunden und der Bank vor. In diesen Fällen hat eine Pfändung des Anspruchs des Vollstreckungsschuldners auf Zugang zum Schließfach und auf Mitwirkung der Bank zu erfolgen. Hausgenossen haben Alleingewahrsam an den zu ihrem persönlichen Gebrauch bestimmten Gegenständen; an den übrigen Gegenständen hat der Haushaltsvorstand (i. d. R. beide Ehegatten) Gewahrsam. Bei Eheleuten greifen die Eigentumsvermutung des § 1362 Abs. 1 BGB und die Gewahrsamsfiktion des § 739 ZPO. Zum Gewahrsam bei Ehegatten vgl. § 263 AO. Bei einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gilt eine der Fiktion des § 1362 Abs. 1 BGB entsprechende Regelung. Die Fiktion gilt nicht für andere Lebenspartner oder getrennt lebende Eheleute.
Rz. 7
An Gegenständen in Geschäftsräumen hat der Geschäftsinhaber Gewahrsam; an den Gegenständen in gemieteten Räumen hat der Mieter, auch der Untermieter, Gewahrsam. Bei in Hotelzimmern befindlichem Hotelzubehör ist der Hotelier, nicht der Gast Gewahrsamsinhaber. Bei juristischen Personen ist der Organbesitz entscheidend. Auch hier sind die tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen. Bei der Vollstreckung gegen Soldaten ist Gewahrsam nur an den im Spind befindlichen Sachen anzunehmen. An einem Pkw hat grundsätzlich der jeweilige Halter Gewahrsam.
Rz. 8
Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker usw. haben Gewahrsam an der Insolvenzmasse, dem Nachlass usw. Schulden gegen dieses Sondervermögen können daher gegen diese Parteien kraft Amtes vollstreckt werden. Dies gilt aber nur für Sachen, die zu diesem Sondervermögen gehören. Das hat der Vollziehungsbeamte zu prüfen.