Rz. 11

§ 354 Abs. 1 S. 1 AO erlaubt dem Stpfl. auf seinen Einspruch zu verzichten. Im Hinblick darauf, dass er mit diesem Verzicht zugleich auf die Möglichkeit des grundrechtlich gewährleisteten gerichtlichen Rechtsschutzes verzichtet, sind an seine Wirksamkeit strenge Anforderungen zu stellen.[1] Die Vorschrift dient dem Schutz des Stpfl., der die Tragweite seines Handels bei der Erklärung eines Einspruchsverzichts klar übersehen soll.[2]

 

Rz. 12

Vor diesem Hintergrund ist es deshalb auch zwingend erforderlich, dass die Verzichtserklärung klar und eindeutig ist.[3] Der Einspruchsverzicht muss zwar nicht zwingend als solcher bezeichnet sein, die Absicht, ernsthaft und endgültig von dem Einspruch keinen Gebrauch machen zu wollen, muss sich aber durch Auslegung der Erklärung – entsprechend §§ 133, 157 BGB – zweifelsfrei ermitteln lassen.[4] Mit den strengen Anforderungen des § 354 AO an die Wirksamkeit eines Einspruchsverzichts ist es dabei nicht zu vereinbaren, dass zweifelhafte Erklärungen zuungunsten eines Stpfl. ausgelegt werden.[5] Ist unklar, ob der Stpfl. einen Einspruchsverzicht erklären wollte, ist ein solcher im Zweifel nicht anzunehmen.[6]

 

Rz. 13

Daher liegt kein Einspruchsverzicht liegt vor bei einer

  • Zustimmung zu der Änderung eines Steuerbescheids[7];
  • Zustimmung zu dem Ergebnis bzw. zu dem Bericht einer Außenprüfung[8];
  • Erledigungserklärung in einem finanzgerichtlichen Klageverfahren[9];
  • vorbehaltlosen Zahlung einer festgesetzten Steuer oder Nebenleistung.[10]
 

Rz. 14

Auch eine tatsächliche Verständigung über einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt bewirkt keinen Einspruchsverzicht für den gesamten Steuerfall. Umgekehrt bedarf es für die Bindung des Stpfl. an eine tatsächliche Verständigung auch keines Einspruchsverzichts. Vielmehr beruht die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung auf dem Grundsatz von Treu und Glauben.[11] Während der Einspruchsverzicht generell den Rechtsschutz gegen den Verwaltungsakt ausschließt, wirkt der aus der Verständigung resultierende Rechtsschutzverzicht nur punktuell in materiell-rechtlicher Hinsicht.[12] Ein Einspruch infolge des Abschlusses einer tatsächlichen Verständigung ist damit nicht unzulässig, sondern unbegründet, soweit sich der Stpfl. und die Finanzbehörde in wirksamer Weise über einen Sachverhalt verständigt haben.[13]

 

Rz. 15

Mit Ausnahme der in § 354 Abs. 1 S. 2 AO genannten Bedingung, wonach im Fall eines Einspruchsverzichts bei der Abgabe einer Steueranmeldung keine abweichende Steuerfestsetzung erfolgt, darf der Verzicht auf den Einspruch als verfahrensrechtliche Willenserklärung nicht an eine Bedingung geknüpft sein.

Rz. 16–20 einstweilen frei

[4] Vgl. BFH v. 5.10.1987, III B 65/87, BStBl II 1988, 281, zum Verzicht auf einen Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid.
[6] Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 354 Rz. 17; Tappe, in HHSp, AO/FGO, § 354 AO Rz. 12.; Werth, in Gosch, AO/FGO, § 354 AO Rz. 17f.
[10] Szymczak, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 354 Rz. 7/1; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 452.
[12] Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, 1996, 286.
[13] S. zum Ganzen G. Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 162 AO Rz. 76ff., 102f.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge