4.1 Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts
Rz. 110
Als verfahrensrechtliche Willenserklärung ist der Einspruchsverzicht unwiderruflich und nicht anfechtbar. Der Einspruchsführer kann nur nach § 354 Abs. 2 S. 2 AO die Unwirksamkeit des Verzichts geltend machen.
Der Einspruchsverzicht ist unwirksam, wenn die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Das ist also dann der Fall, wenn ein Einspruch nicht statthaft ist (s. Rz. 5f.), die Verzichtserklärung vor der Bekanntgabe des Verwaltungsakts erfolgt ist (s. Rz. 8ff.) oder sie im Fall der Steueranmeldung ohne die erforderliche Bedingung abgegeben wurde (s. Rz. 11ff.). Eine Unwirksamkeit des Verzichts ist weiter gegeben, wenn dieser mit inhaltlichen Mängeln behaftet ist (s. Rz. 14ff.), er nicht in der richtigen Form abgegeben wurde (s. Rz. 34ff.), der Erklärende nicht zu dem Verzicht fähig oder befugt war (s. Rz. 25ff.) oder er durch die Finanzbehörde in unzulässiger Weise zu dem Einspruchsverzicht bewegt wurde (s. Rz. 29ff.). Außerdem ist der Einspruchsverzicht unwirksam, wenn er nach § 354 Abs. 1b AO im Hinblick auf eine zwischenstaatliche Vereinbarung bzw. einen Schiedsspruch erklärt wurde und diese in dem anschließenden Verwaltungsakt nicht zutreffend umgesetzt wurde (s. Rz. 49).
4.2 Verfahren zur Geltendmachung der Unwirksamkeit
Rz. 111
Über die Frage der Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts wird kein selbstständiges Verfahren durchgeführt. Vielmehr erfolgt die Prüfung im Rahmen des Einspruchsverfahrens. Die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts erfolgt also durch die Einlegung des Einspruchs. Einer besonderen "Rücknahme" der Verzichtserklärung bedarf es nicht. Allerdings muss der Stpfl. darlegen, aus welchen Gründen er den erklärten Einspruchsverzicht für unwirksam hält.
Rz. 112
Die Finanzbehörde trifft ihre Entscheidung über die Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch nach § 367 AO. Ist nach Ansicht der Behörde der Verzicht wirksam, so muss sie den Einspruch nach § 358 S. 2 AO als unzulässig verwerfen, da das Nichtvorliegen des wirksamen Einspruchsverzichts eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Einspruchs ist. Ist der Einspruchsverzicht nach Ansicht der Finanzbehörde unwirksam, trifft sie, falls die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, eine Sachentscheidung über den Einspruch.
Rz. 113
Die Entscheidung über die Unwirksamkeit der Verzichtserklärung ist, sofern sie nicht als Teileinspruchsentscheidung getroffen wird, nicht gesondert anfechtbar. Die Rechtswidrigkeit der behördlichen Entscheidung über den Einspruchsverzicht kann nur im Weg der Klage gegen den angefochtenen Verwaltungsakt geltend gemacht werden.
Ist die Klage gegen den angefochtenen Verwaltungsakt anhängig, so hat das FG über die Wirksamkeit des Einspruchsverzichts eine eigene Entscheidung zu treffen. Es ist an die Rechtsauffassung der Finanzbehörde nicht gebunden, sondern hat die Zulässigkeit des Einspruchs im Hinblick auf die Bestandskraft des angefochtenen Verwaltungsakts von Amts wegen zu prüfen.
4.3 Frist
Rz. 114
Nach § 354 Abs. 2 S. 2 AO gilt für die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts § 110 Abs. 3 AO sinngemäß. § 110 Abs. 3 AO bestimmt für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass diese nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden kann, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Dementsprechend kann die Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts regelmäßig innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden. Streitig ist dabei allerdings, wann die Jahresfrist zu laufen beginnt. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, es sei auf den Zeitpunkt der Verzichtserklärung abzustellen, da in diesem die Bestandskraft des Verwaltungsakts eintrete. Die überwiegende Auffassung stellt dagegen zutreffend auf den Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist ab, binnen derer die Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts eigentlich geltend zu machen gewesen wäre und die somit die "versäumte Frist" darstellt. Hinzu kommt, dass die Bestandskraft des Verwaltungsakts im Falle eines unwirksamen Einspruchsverzichts nicht – wie von der Gegenauffassung angenommen – schon mit der Erklärung des Verzichts, sondern wegen der Unwirksamkeit des Verzichts erst mit dem Ablauf der Einspruchsfrist eintritt. Die Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts kann somit längstens binnen eines Jahres nach Ablauf der regulären Einspruchsfrist geltend gemacht werden.
Wurde in dem Verwaltungsakt eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt oder ist sie unterblieben, beginnt die Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO m. E. nicht erst mit Ablauf der verlängerten Einspruchsfrist. Beide Jahresfristen verfolgen letztlich den gleichen Zw...