Rz. 75

Erfüllt der Einspruch zunächst nicht die in § 357 Abs. 1 AO geforderten zwingenden Anforderungen, können die erforderlichen Angaben, also die formellen Erfordernisse sowie die Identifizierbarkeit des Einspruchsführers, die Bestimmbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts und die Erkennbarkeit des Einspruchsbegehrens bis zum Ablauf der Einspruchsfrist nachgeholt oder ergänzt werden.[1] Bei der rechtzeitigen Erkennbarkeit des Einspruchsbegehrens handelt es sich um eine rein akademische Frage[2], denn sind Einspruchsführer und Verwaltungsakt bekannt, ist zugunsten des Stpfl. im Zweifel davon auszugehen, dass dieser einen Einspruch einlegen wollte (s. bereits Rz. 28).

Szymczak[3] vertritt die Auffassung, eine Klärung sämtlicher Angaben könne auch nach Ablauf der Einspruchsfrist erfolgen und verweist darauf, dass § 65 Abs. 2 FGO auch im formstrengeren finanzgerichtlichen Verfahren eine Ergänzung der Klage um die notwendigen Angaben nach Ablauf der Klagefrist erlaube. § 65 Abs. 2 FGO ist aber im Einspruchsverfahren nicht anwendbar.[4] Eine ähnliche Vorschrift ist allenfalls in der Regelung des § 364b AO zu sehen, die der Finanzbehörde ermöglicht, dem Einspruchsführer eine Ausschlussfrist zu setzen. Die Ausschlussfrist bezieht sich aber nur auf das Vorbringen der nach § 357 Abs. 3 AO nicht zwingend im Einspruch enthaltenen Angaben. Im Umkehrschluss wird man daraus herleiten können, dass die zwingenden Anforderungen bereits im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung bzw. bis zum Ablauf der Einspruchsfrist vorliegen müssen.

 

Rz. 76

Entspricht der Einspruch – auch nach einer ggf. erfolgten Ergänzung – nicht den zwingend notwendigen formellen und inhaltlichen Erfordernissen und ist auch eine Auslegung oder Umdeutung nicht möglich, ist der Einspruch nicht wirksam und nach § 358 S. 2 AO als unzulässig zu verwerfen.[5] Sieht die Finanzbehörde von einer Entscheidung ab, weil sie meint, es sei gar kein Einspruch eingelegt worden, kann der Stpfl. die Ordnungsmäßigkeit der Einspruchseinlegung im Rahmen einer Untätigkeitsklage nach § 46 FGO überprüfen lassen.[6] Für eine Klage auf Feststellung, dass ein bei der Finanzbehörde vorliegender Einspruch nicht unzulässig sei, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Stpfl. eine Anfechtungsklage erheben kann.[7]

 

Rz. 77

Ist der Einspruch nicht ordnungsgemäß eingelegt worden, hat die Finanzbehörde keine Sachentscheidungsbefugnis. Erlässt sie gleichwohl eine Einspruchsentscheidung in der Sache, so vermag dies nicht die fehlende Zulässigkeit der Einspruchseinlegung zu heilen. Das FG hat die Ordnungsmäßigkeit der Einspruchseinlegung stets von Amts wegen zu prüfen. Eine Klage ist im Hinblick auf die eingetretene Bestandskraft des Verwaltungsakts jedenfalls unbegründet.[8]

[1] BFH v. 8.9.2000, VII B 92/00, BFH/NV 2001, 605, für die Identifizierbarkeit des Einspruchsführers; wohl auch BFH v. 5.3.1987, VII R 29/84, BStBl II 1987, 413; für die Bestimmbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts.
[2] Dazu Becker/Riewald/Koch, RAO/FGO, Band III, 9. Aufl. 1968, § 238 RAO Anm. 2e).
[3] In Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 357 Rz. 7/1.
[5] FG München v. 17.5.2002, 14 K 1686/99, Haufe-Index HI796341; Bartone, in Gosch, AO/FGO, § 357 AO Rz. 1.

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