3.1 Betroffener Zeitraum
Rz. 10
Die steuerlichen Pflichten bleiben bestehen, soweit sie den Zeitraum betreffen, in dem die Verfügungs- oder Vertretungsmacht bestanden hat. Entscheidend für das Weiterbestehen der Verpflichtung ist, in welchem Zeitraum die Verpflichtung begründet worden ist. Der Gesetzeswortlaut ist an diesem Punkt etwas unklar. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift kann es jedoch nur auf den Zeitraum der Entstehung der Pflicht ankommen, nicht dagegen auf die Zeit, auf die sich die steuerliche Pflicht bezieht. So hat z. B. ein zu einem Jahresbeginn eingetretener Geschäftsführer einer GmbH die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärungen für die Vorjahre, obwohl die Steuererklärungen den Zeitraum vor seiner Vertretungsmacht betreffen. Ebenso hat der zum Jahresende ausgeschiedene Geschäftsführer noch die das letzte Jahr betreffenden Steuererklärungen abzugeben, da die Erklärungspflicht mit Ablauf des Jahres begründet war. Dagegen hat ein während eines Jahres ausgeschiedener Geschäftsführer keine Verpflichtung für die Steuererklärungen dieses laufenden Jahres. Das ließe sich mit einer einheitlichen Steuererklärung für den gesamten Veranlagungszeitraum auch nicht vereinbaren. Allerdings kann es ermessensgerecht sein, wenn das FA von dem früheren Vertreter verlangt, bei der Anfertigung der Steuererklärung des bisher Vertretenen behilflich zu sein.
Der frühere Vertreter oder Verfügungsberechtigte hat grundsätzlich weiterhin alle früheren Verpflichtungen. So muss er weiterhin eine eventuelle falsche Steuererklärung, deren Unrichtigkeit u. U. nur der frühere Vertreter kennt, berichtigen. Er hat Bücher und andere Unterlagen vorzulegen, Erklärungen abzugeben, Auskünfte zu erteilen, Zahlungen zu leisten, wenn die Verpflichtung hierzu bereits zur Zeit seiner Vertretungs- und Verfügungsmacht z. B. nach §§ 93, 97 AO bestanden hat (zu den Einschränkungen vgl. Rz. 11).
Da der frühere Vertreter oder Verfügungsberechtigte die Pflichten nach §§ 34, 35 AO zu erfüllen hat, besteht für ihn kein Auskunftsverweigerungsrecht nach §§ 101, 103 und 104 AO. Aus dem gleichen Grund hat er auch keinen Entschädigungsanspruch nach § 107 AO.
3.2 Erfüllbarkeit der Verpflichtung
Rz. 11
Die nach §§ 34, 35 AO entstandenen Pflichten bleiben nur insoweit bestehen, als der Verpflichtete sie erfüllen kann. Damit wird das Weiterbestehen der Pflichten aus §§ 34, 35 AO weitgehend eingeschränkt. Soweit der frühere Vertreter oder Verfügungsberechtigte rechtlich oder tatsächlich zur Pflichterfüllung nicht oder nicht mehr in der Lage ist, kann § 36 AO nicht eingreifen. Sind die Bücher und Unterlagen für ihn nicht mehr erreichbar, weil er sie z. B. an seinen Nachfolger übergeben hat, kann er sie nicht mehr vorlegen, seine Verpflichtung ist insoweit erloschen. Die Einschränkung gilt insbesondere für die Steuerzahlung, wenn der frühere Vertreter keine Mittel mehr verwaltet. Für die Zahlung der Steuern, die nach seinem Ausscheiden fällig werden, braucht der Verfügungs- oder Vertretungsberechtigte nicht mehr Sorge zu tragen. Dies kann er regelmäßig auch schon deshalb nicht mehr, weil er über die Mittel des Vertretenen nach Erlöschen der Vertretungsmacht nicht mehr verfügen kann. Er ist nicht gehalten, eigene Mittel zuzuschießen. Auskünfte über steuerliche Vorgänge aus der Zeit seiner Vertretungsmacht, zu denen er nach § 93 AO grundsätzlich verpflichtet ist, braucht der frühere Vertreter oder Verfügungsberechtigte nur noch insoweit zu geben, wie er dazu rechtlich und tatsächlich in der Lage ist. Unterlagen muss er trotz der grundsätzlich weiter bestehenden Verpflichtung nach § 97 AO nur vorlegen, wenn er sie noch besitzt oder sich in den Besitz setzen kann. Im Einzelfall kann er im Rahmen der Zumutbarkeit gehalten sein, sich durch Erkundigungen oder Einsichtnehmen in die Unterlagen des Vertretenen zur Pflichterfüllung in die Lage zu versetzen. Hat der Verfügungs- oder Vertretungsberechtigte die bestehenden Pflichten bereits bis zur Beendigung der Verfügungs- oder Vertretungsmacht verletzt, kann er sich zur Vermeidung der Haftung nicht darauf berufen, dass er zu ihrer Erfüllung nicht mehr in der Lage ist.
3.3 Auswahlermessen
Rz. 12
Nach dem Ende der Vertretungs- oder Verfügungsmacht wird die Finanzbehörde bei der Inanspruchnahme des früheren Vertreters, der nach wie vor verpflichtet ist, für steuerliche Pflichten besonder...