1.5.1 Allgemeines
Rz. 29
Da die AdV-Entscheidung nur für die Zukunft wirkt (s. Rz. 22), bleiben bereits eingetretene Rechtswirkungen bestehen (s. Rz. 20). Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen, so kann die Finanzbehörde nach § 361 Abs. 2 S. 3 AO allerdings die vollständige oder teilweise Aufhebung der aufgrund des angefochtenen Verwaltungsakts eingetretenen Vollziehungswirkung anordnen. Die Finanzbehörde ist dann verpflichtet, die Vollziehungs-, insbesondere getroffene Vollstreckungsmaßnahmen, aufzuheben und vereinnahmte Zahlungen und erbrachte Leistungen zu erstatten. Durch die Aufhebung d. V. eines Steuerbescheids erlangt der Antragsteller einen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO. Allerdings führt dies nicht dazu, dass geleistete Vorauszahlungsbeträge oder anzurechnende Steuerabzugsbeträge zu erstatten wären.
Rz. 30
Für die Aufhebung d. V. gilt die gleiche Rechtslage wie für die AdV. Der Zeitpunkt, von dem an die Wirkungen der Vollziehung aufzuheben sind, bestimmt sich danach, wann der Aussetzungsgrund vorliegt.
Rz. 31
Die Aufhebung d. V. wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Leistung in Erfüllung des Leistungsgebots freiwillig erbracht worden ist.
Rz. 32
Eine Erstattung rechtmäßig entstandener Vollstreckungskosten nach einer Aufhebung d. V. kommt nicht in Betracht.
Rz. 33
Säumniszuschläge sind rückwirkend aufzuheben.
Rz. 34
Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Antrag auf AdV auch den Antrag auf Aufhebung d. V. bezüglich der inzwischen verwirkten Säumniszuschläge umfasst, falls die Finanzbehörde nicht vor Fälligkeit über die Vollziehungsaussetzung entscheidet.
1.5.2 Beschränkung bei Steuerbescheiden (§ 361 Abs. 2 S. 4 AO)
Rz. 35
Da über die Aufhebung d. V. damit auch eine Erstattung bereits erbrachter oder einbehaltener Leistungen erreicht werden könnte, schränkt § 361 Abs. 2 S. 4 AO den Umfang der Aufhebung ein. Die Aufhebung darf regelmäßig nur für den Unterschiedsbetrag (s. Rz. 27 und 93) gewährt werden, d. h. für die um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, die anzurechnende KSt und die festgesetzten Vorauszahlungen geminderte festgesetzte Steuer. Die Regelung gilt nur für Steuerbescheide, mithin nicht für Haftungsbescheide.
Rz. 35a
Die Einschränkung gilt aber nicht, wenn die AdV zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Formulierung des Gesetzes entspricht insoweit § 114 Abs. 1 S. 2 FGO, sodass für die Auslegung der Vorschrift auf die Rspr. zur einstweiligen Regelungsanordnung durch das FG zurückgegriffen werden kann. Demnach müssen die Gründe für eine vorzeitige Erstattung bereits erbrachter oder einbehaltener Leistungen so schwerwiegend sein, dass sie diese einstweilige Regelung unabweisbar machen. Die die einstweilige Regelung gebietenden Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die sich durch die Vollziehung im Regelfall ergeben.
Wesentliche Nachteile i. d. S. sind demgemäß nur gegeben, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Stpfl. unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde, mithin genügen bloße Zins- oder Liquiditätsnachteile als solche nicht. Allein der Umstand, dass die verlangten Mittel und Zahlungen im Weg der Kreditaufnahme finanziert werden müssen, ist kein wesentlicher Nachteil i. d. S. Wesentliche Nachteile liegen auch bei zu erwartenden erheblichen Grundrechtsverletzungen vor.
Rz. 35b
Zwar hat die Finanzbehörde über das Vorliegen der wesentlichen Nachteile von Amtswegen zu entscheiden, aber der Regelungsgrund (Vorliegen wesentlicher Nachteile) muss vom Antragsteller schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden.