Rz. 52
Die Einspruchsrücknahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Als solche wird sie – entsprechend § 130 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB – mit dem Zugang bei der Einlegungsbehörde wirksam. Sie muss also derart in deren Machtbereich gelangt sein, dass sie einerseits der Verfügungsmacht von unbefugten Dritten entzogen ist und andererseits unter regelmäßigen Umständen damit gerechnet werden kann, dass die Behörde von der Erklärung Kenntnis nehmen kann.
Rz. 53
Wegen der mit Abgabe der Erklärung eintretenden Gestaltungswirkung ist ein Widerruf regelmäßig ausgeschlossen. Ein Widerruf der Rücknahmeerklärung hindert deren Wirksamkeit mit Zugang bei der Behörde nur dann, wenn er – entsprechend § 130 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 BGB – vorher oder zumindest zeitgleich bei der Behörde eingeht. Dabei hat er – allein schon zu Beweiszwecken – in der Form zu erfolgen, der auch für die widerrufene Rücknahme vorgeschrieben ist, er ist also schriftlich oder elektronisch oder durch Erklärung zur Niederschrift zu erklären.
Birkenfeld vertritt weitergehend die Auffassung, dass der Widerruf einer Rücknahmeerklärung auch dann zulässig sein soll, "wenn ein Wiederaufnahmegrund gegeben ist". Es entspreche der im Bereich des Zivilprozesses anerkannten Handhabung, dass die Rücknahme eines Rechtsmittels widerrufen werden könne, wenn sie durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden sei. Hierfür besteht m. E. keine Notwendigkeit. Ein Wiederaufnahmegrund ist im Zivilprozess nach §§ 578ff. ZPO in Fällen gegeben, in denen schwere Mängel des Verfahrens oder gravierende inhaltliche Fehler gegen den Bestand eines Urteils sprechen. Das wird z. B. angenommen, wenn das Urteil auf mit Täuschung oder Straftaten herbeigeführten Beweismitteln beruht. Wird eine Einspruchsrücknahme in einer solchen Weise erwirkt, ist sie unwirksam, was ausschließlich nach § 362 Abs. 2 S. 2 AO geltend gemacht werden kann, sie kann aber nicht widerrufen werden. Man wird aber den "Widerruf" einer Einspruchsrücknahme als Geltendmachung der Unwirksamkeit verstehen können.
Rz. 54
Ebenso ist eine Anfechtung der Rücknahmeerklärung wegen Irrtums nach § 119 BGB nicht möglich. Auf die Beweggründe für die Abgabe einer Verfahrenserklärung kommt es für deren Wirksamkeit nicht an. Nur wenn die Rücknahmeerklärung aufgrund einer unzulässigen Willensbeeinflussung durch die Finanzbehörde beruht, kann nach § 362 Abs. 2 S. 2 AO ihre Unwirksamkeit geltend gemacht werden (s. dazu Rz. 68ff.). Auch die "Anfechtung" der Einspruchsrücknahme kann als Geltendmachung der Unwirksamkeit des Einspruchs verstanden werden.