1.1 Zweck der Vorschrift
Rz. 1
Für die Finanzbehörde besteht nach § 367 AO die Pflicht zur Entscheidung über den anhängigen Einspruch. Sie kann als Trägerin des Einspruchsverfahrens dessen Ablauf gestalten. Diese Gestaltungsmöglichkeit ist hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs des Verfahrens aber begrenzt. Die Finanzbehörde hat die Amtspflicht, über den Einspruch in angemessener Zeit zu entscheiden. Auch im Einspruchsverfahren gilt das im Verwaltungsverfahren allgemein bestehende Beschleunigungsgebot. Im Interesse des Beteiligten hat die Finanzbehörde das Verwaltungsverfahren, als dessen Teil damit auch das Einspruchsverfahren, unter Berücksichtigung der jeweiligen Verhältnisse im Einzelfall zügig abzuwickeln. Diese Amtspflicht der Finanzbehörde zur Entscheidung über den Einspruch in angemessener Zeit wird dadurch gesichert, dass dem Beteiligten gegen unbegründete Verfahrensverzögerungen im Einspruchsverfahren Rechtsschutz gewährt wird. Der Finanzbehörde steht für die Bearbeitung des Einspruchs grundsätzlich ein Bearbeitungszeitraum von sechs Monaten zur Verfügung. Erfüllt die Finanzbehörde ihre Entscheidungspflicht innerhalb dieses Zeitraums nicht und hat sie auch keinen die Verzögerung rechtfertigenden Grund benannt, so kann der Einspruchsführer weiteren Rechtsschutz in Form der Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO erlangen. Ein Einspruchsführer muss eine Verzögerung der Entscheidung über seinen Einspruch nur dann hinnehmen, wenn die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage nicht oder noch nicht vorliegen.
Rz. 2
Das Gebot der Verfahrensbeschleunigung hat zur Folge, dass ein Stillstand des Einspruchsverfahrens nur eintreten darf, wenn durch eine besondere gesetzliche Grundlage die Verfahrensverzögerung gerechtfertigt ist. Ist die Verzögerung des Einspruchsverfahrens aufgrund einer solchen Ausnahmeregelung gerechtfertigt, ist die Untätigkeitsklage unzulässig. Ebensowenig führt sie zu einer überlangen Verfahrensdauer.
1.2 Gründe für den zeitweiligen Stillstand des Einspruchsverfahrens
Rz. 3
Von der Entscheidungspflicht in angemessener Zeit ist die Finanzbehörde ausnahmsweise entbunden, wenn
- eine Anordnung der Aussetzung der Entscheidung über den Einspruch durch die Finanzbehörde erfolgt ist, wobei der wesentliche Aussetzungsgrund für das Einspruchsverfahren der Finanzbehörde in § 363 Abs. 1 AO normiert ist.
- zwischen der Finanzbehörde und dem Einspruchsführer eine Vereinbarung des Ruhens des Einspruchsverfahrens getroffen worden ist, wie sie in § 363 Abs. 2 AO geregelt ist (Zustimmungsruhe).
das Ruhen des Verfahrens
- kraft Gesetzes (Zwangsruhe) bzw.
- durch finanzbehördliche Anordnung eingetreten ist (Anordnungsruhe).
- Letztlich kraft Gesetzes eine Unterbrechung des Einspruchsverfahrens eingetreten ist, wobei die Regelungen der §§ 239–250 ZPO auch im Einspruchsverfahren entsprechende Anwendung finden.
Rz. 3a
Die Regelungen des § 363 Abs. 1 und 2 AO sind rechtlich voneinander unabhängig, wenn allerdings die "Zwangsruhe" nach § 363 Abs. 2 S. 2 AO eintritt, bedarf es der Aussetzung des Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 1 AO und dem zustimmungsbedürftigen Ruhen nach § 363 Abs. 2 S. 1 AO nicht.