2.2.1 Zulässigkeit des Einspruchsverfahrens
Rz. 6
Mit der Aussetzung der Entscheidung über den Einspruch, also dem tatsächlichen Stillstand des Einspruchsverfahrens, sollen divergierende Sachentscheidungen verhindert werden. Demgemäß ist eine Aussetzung nur dann berechtigt, wenn die Finanzbehörde aufgrund des Einspruchs auch eine Sachentscheidung treffen kann, also die Sachentscheidungsvoraussetzungen (Zulässigkeitsvoraussetzungen) vorliegen. Das unzulässige Einspruchsverfahren darf nicht nach § 363 Abs. 1 AO ausgesetzt werden, sondern es ist als solches ohne Prüfung der sachlichen Einwendungen nach § 358 Satz 2 AO zu verwerfen.
2.2.2 Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses
Rz. 7
Die Aussetzung der Entscheidung über den Einspruch setzt ferner voraus, dass die der Einspruchsentscheidung vorgreifende Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses befindet. Rechtsverhältnisse i. d. S. sind die aus einem konkreten Sachverhalt resultierenden Rechtsbeziehungen zwischen verschiedenen Rechtssubjekten oder zwischen Rechtssubjekten und Rechtsobjekten.
Rz. 7a
Für die Aussetzung nach § 363 Abs. 1 AO ist es ohne Bedeutung, ob die Rechtsverhältnisse öffentlich-rechtlichen, z. B. steuerrechtlichen, oder privatrechtlichen Rechtscharakter haben. Der Begriff des Rechtsverhältnisses ist weit auszulegen.
Rz. 7b
Es ist auch nicht erforderlich, dass das Rechtsverhältnis zwischen der Finanzbehörde und dem Beteiligten besteht. Das Rechtsverhältnis muss nur Einfluss auf die Sachentscheidung haben.
Rz. 8
Kein Rechtsverhältnis i. d. S. ist eine Rechtsfrage, z. B. ob eine Rechtsnorm anwendbar ist. Über diese Rechtsfrage ist gerade im anhängigen Einspruchsverfahren zu entscheiden, sodass eine Aussetzung i. S. v. § 363 Abs. 1 AO zumindest zweckwidrig wäre. Auch die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm ist eine solche Rechtsfrage, die die Verfahrensaussetzung auch bei einem anhängigen Normenkontrollverfahren nicht zulässt.
Rz. 9
Kein Rechtsverhältnis liegt vor, wenn ein Musterprozess anhängig ist. In solchen Fällen kommt nur ein Ruhen des Verfahrens in Betracht.
Rz. 10 einstweilen frei
Rz. 10a
Auch die Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, wenn die Geltendmachung des im Einspruchsverfahren streitigen Steueranspruchs hiervon abhängt, z. B. bei der Haftung nach § 71 AO, ist kein vorgreifliches Rechtsverhältnis, sondern eine Rechtsfrage (s. Rz. 8). Über dieses Tatbestandsmerkmal haben die Finanzbehörde und ggf. das FG in eigener Kompetenz zu entscheiden.
Rz. 10b
Kein die Aussetzung rechtfertigendes Rechtsverhältnis ist die Möglichkeit einer Rechtsänderung, auch wenn sie sich schon konkret abzeichnet.
Rz. 11
Ein schwebendes Verständigungs- oder Schiedsverfahren über völkerrechtliche Vereinbarungen nach § 2 AO rechtfertigt keine Aussetzung der Einspruchsentscheidung nach § 363 Abs. 1 AO.
2.2.3 Anhängigkeit eines anderen Verfahrens
Rz. 12
Das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses muss den Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits bilden bzw. von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde festzustellen sein. Welcher Art das Gericht oder die Verwaltungsbehörde ist, ist unerheblich. Liegt die Entscheidungskompetenz anderer Verfahren bei der für die Einspruchsentscheidung zuständigen Finanzbehörde, so kommt eine Aussetzung nicht in Betracht.
Erforderlich ist auch, dass das Gerichtsverfahren anhängig ist, also die Klage erhoben bzw. der Antrag gestellt oder das Verwaltungsverfahren bereits begonnen worden ist. Ist das Gerichts- bzw. Verwaltungsverfahren noch nicht anhängig, so muss die Finanzbehörde entscheiden.
Die Aussetzung kann nicht erfolgen, um den Einspruchsführer zur Durchführung des anderen Verfahrens zu veranlassen. Eine Aussetzung kommt nicht mehr in Betracht, wenn das andere Verfahren nicht mehr anhängig ist.
Rz. 13
Entscheidend ist aber nicht nur die Anhängigkeit, sondern dass das Verfahren auch betrieben wird. Ist das anhängige Ver...