2.2.1 Handlung
Rz. 12
Eine Straftat setzt begrifflich eine menschliche Handlung voraus. Ein menschliches Verhalten ist nur dann als eine Handlung im strafrechtlichen Sinn zu werten, wenn es von einem Willen getragen wird. Durch die Einführung dieses Handlungsbegriffs werden diejenigen Formen menschlichen Verhaltens strafrechtlich ausgeschlossen, an die grundsätzlich keine Straffolgen geknüpft werden können, z. B. reine, nicht willenskontrollierte Reflexbewegungen, Verhalten im Zustand der Bewusstlosigkeit oder sonstigen Unfähigkeit zur Willensbestätigung, wie z. B. bei einem Vollrausch. Ebenso stellen Vorgänge, die sich ausschließlich im Inneren des Menschen abspielen (Gedanken, Gefühle, Gesinnungen und Absichten), und solche, die durch äußere unwiderstehliche Gewalt erzwungen werden (sog. vis absoluta) kein strafrechtlich relevantes Handeln dar.
Eine Handlung im strafrechtlichen Sinn kann grundsätzlich nach § 13 Abs. 1 StGB sowohl in einem aktiven Tun als auch in einem Unterlassen eines rechtlich gebotenen Tuns bestehen (s. Rz. 56f.).
2.2.2 Erfüllung des Straftatbestands
2.2.2.1 Bedeutung des gesetzlichen Straftatbestands
Rz. 13
Dem Begriff des Tatbestands kommen unterschiedliche Bedeutungen zu. Wenn z. B. vom Straftatbestand der Steuerhinterziehung gesprochen wird, so geht es um dieses Delikt in seiner allgemeinen Form.
Um den Tatbestand i. w. S. geht es hingegen, wenn die Strafbarkeitsvoraussetzungen des einschlägigen Tatbestands durchgeprüft werden, um am Ende festzustellen, ob die Strafbarkeit gegeben ist. Tatbestandsmäßig ist die strafrechtlich relevante Handlung (s. Rz. 11) dementsprechend, wenn sie den Merkmalen eines Straftatbestands entspricht.
Rz. 14
Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Handlung nur dann mit Strafe geahndet werden, wenn sie einen gesetzlichen Straftatbestand verwirklicht (s. auch Rz. 58). Mithilfe des gesetzlichen Straftatbestands werden aus der Vielzahl der denkbaren Unrechtshandlungen diejenigen Handlungen ausgesondert, die für strafwürdig gehalten werden. Der gesetzliche Straftatbestand begrenzt einerseits die staatliche Strafgewalt, legt aber andererseits fest, welche Handlungen unter welchen Voraussetzungen bei Straffolge "verboten" sind. Der Gesetzgeber darf jedoch keine Strafe auf zur Tatzeit noch nicht geltendes Recht oder auf unbestimmte Strafgesetze stützen. Ferner darf die Strafbarkeit nicht auf Gewohnheitsrecht oder zu Lasten des Täters analog angewendetes Recht gestützt werden (vgl. Rz. 58ff.).
Rz. 15
Daneben bezeichnet der Begriff des Tatbestandes i. e. S. die Prüfungsstufe der Tatbestandsmäßigkeit mit dem objektiven und subjektiven Tatbestand. Insoweit beschreibt der Tatbestand die unrechtsbegründenden Merkmale, die den typischen Unrechtsgehalt der Tat verkörpern, aber noch keine Aussage zu den im Einzelfall zu klärenden Fragen der Rechtswidrigkeit und Schuld enthalten.
2.2.2.2 Allgemeiner Inhalt eines gesetzlichen Straftatbestands
Rz. 16
Ein Straftatbestand enthält einmal eine Beschreibung eines äußerlich wahrnehmbaren Geschehens, also einen objektiven Tatbestand. Diese Beschreibung kann durch deskriptive Merkmale erfolgen, die auf einer sinnlichen Wahrnehmung beruhen. Der Tatbestand kann aber auch sog. normative Merkmale enthalten, die erst aufgrund einer rechtlichen Wertung Inhalt erlangen. Die Unterscheidung zwischen objektiven und deskriptiven Merkmalen ist teilweise fließend und hat vor allem Bedeutung für das Verständnis verschiedener Irrtumsfragen (vgl. Rz. 105ff.). Aufgrund solcher äußeren Merkmale bestimmt der objektive Tatbestand:
Rz. 17
- den Täterkreis (= Tatsubjekt), "wer" – § 370 Abs. 1 S. 1 AO – tauglicher Täter sein kann. Bei Allgemeindelikten, die i. d. R. das unbestimmte Wort "wer" enthalten, kommt jedermann als Täter in Frage.
- die Tatsituation, besondere Begebenheiten bei der Tathandlung.
- das Tatobjekt.
- die Tathandlung, d. h., welches (strafbare) Verhalten das Unwerturteil begründet.
Rz. 18
- im Fall von sog. Erfolgsdelikten auch den Taterfolg, d. h. ein kausal auf die Tathandlung zurückzuführendes schädigendes Ergebnis, soweit der Straftatbestand dieses vorsieht. Im Fall von sog. (schlichten) Tätigkeitsdelikten ist hingegen keine Beziehung zwischen Handlung und Erfolg erforderlich. Der Tatbestand ist jeweils mit dem Vollzug einer bestimmten tatbestandsmäßigen Handlung unabhängig von einer eventuellen Außenwirkung vollendet.
Rz. 19
Bestandteil des gesetzlichen Straftatbestands ist auch der sog. subjektive Tatbestand, der sich auf die innere Haltung, Einstellung und Gedankenwelt des Täters bezieht. Dabei handelt es sich bei Vorsatzdelikten wie z. B. §§ 370, 372-374 AO zunächst um den Vorsatz als Bestandteil des Tatunrechts. Darüber hinaus enthalten auch zahlreiche Vorsatzdelikte "besondere" subjektive Tatbestandsmerkmale, die auch das Unrecht der Tat prägen, aber im Gegensatz zum Vorsatz keinen Bezugspunkt im objektiven Tatbestand haben. Dazu gehören z. B. Tatmotive und Tatabsichten.