3.8.1 Grundlagen
Rz. 116
Wenn ein Tatbeteiligter durch sein Gesamtverhalten, das aus einer oder mehreren einzelnen Handlungen (s. Rz. 12) besteht, mehrere Straftatbestände oder denselben Straftatbestand mehrmals rechtswidrig und schuldhaft erfüllt hat, stellt sich die Frage, welcher Straftatbestand bzw. welche Straftatbestände der Verurteilung zugrunde gelegt und wie der Strafrahmen (s. Rz. 161ff.) ermittelt wird.
Zunächst ist es denkbar, dass ein Tatbestand den anderen verdrängt, so dass tatsächlich nur noch einer anwendbar und auch nur wegen dieser Straftat zu bestrafen ist. Bleiben hingegen beide Tatbestände nebeneinander bestehen, so ist ihr Zusammentreffen erst bei der Rechtsfolgenbemessung zu berücksichtigen (sog. echte Konkurrenzen).
Rz. 117
Werden unterschiedliche Steueransprüche verkürzt – hinsichtlich unterschiedlicher Steuerarten eines Stpfl., hinsichtlich verschiedener Veranlagungszeiträume eines Stpfl. oder hinsichtlich gleichartiger Steueransprüche mehrerer Stpfl. – ist stets mehrfach der Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht. Es ist jedoch strittig, wie das Verhältnis der verschiedenen Taten zu behandeln ist.
Begrifflich wird bei der in den §§ 52–54 StGB geregelten echten Konkurrenz unterschieden zwischen der sog. Idealkonkurrenz und der sog. Realkonkurrenz. Folglich ist in den §§ 52, 53 StGB als Anknüpfungspunkt für die Strafzumessung zunächst die Frage zu stellen, ob "dieselbe Handlung" i. S. d. § 52 Abs. 1 StGB mehrere Gesetzesverstöße beinhaltet oder "mehrere Straftaten" vorliegen. Hierbei ist bei mehreren Handlungen Tatmehrheit anzunehmen, sofern diese nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausnahmsweise als Tateinheit anzusehen sind.
3.8.2 Gesetzeskonkurrenz
Rz. 118
Der Begriff der Gesetzeskonkurrenz erfasst Konkurrenzverhältnisse, bei denen der Unrechtsgehalt einer Straftat X in einer anderen Straftat Y enthalten ist. Folglich besteht weder das Bedürfnis noch die Legitimation, neben der Tat Y auch noch die Tat X straferhöhend in den jeweiligen Schuldspruch einfließen zu lassen.
Es gibt drei Fälle der Gesetzeskonkurrenz im Bereich der Tateinheit:
Erstens die sog. Spezialität, bei der eine Norm alle Merkmale einer anderen Norm enthält und zusätzlich mindestens ein weiteres, spezielleres Merkmal. Gesetzeseinheit liegt dann vor, wenn der Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren dem Wortlaut nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfasst wird. Maßgebend für die Beurteilung sind die Rechtsgüter, gegen die sich der Angriff des Täters richtet, und die Tatbestände, die das Gesetz zu ihrem Schutz aufstellt. Die Verletzung des durch den einen Straftatbestand geschützten Rechtsguts muss eine – wenn nicht notwendige, so doch regelmäßige – Erscheinungsform der Verwirklichung des anderen Tatbestands sein. In diesem Fall wird die andere, weniger spezielle Norm (lex generalis) verdrängt und die Strafbarkeit ergibt sich allein aus der spezielleren Norm (lex specialis). Im Steuerstrafrecht ist dies an § 373 AO zu verdeutlichen, der den Tatbestand des § 372 AO und als weitere Merkmale bestimmte qualifizierende Umstände enthält, sodass lediglich § 373 AO anwendbar ist. Ebenso verdrängt § 373 AO auch den Grundtatbestand des § 370 AO.
Rz. 119
Der zweite Fall der Gesetzeskonkurrenz ist die sog. Subsidiarität. Sie liegt vor, wenn eine Norm ausdrücklich oder stillschweigend nur unter der Voraussetzung anwendbar ist, dass nicht schon eine andere Norm eingreift. Ausdrücklich subsidiär ist z. B. § 372 AO gegenüber bestimmten, allgemein umschriebenen Vorschriften. Stillschweigende Subsidiarität besteht z. B. zwischen Versuch und Vollendung. Folglich wird ein Täter – obwohl in jeder vollendeten Tat auch der vorherige Versuch der Tat enthalten ist – nur wegen der vollendeten Tat belangt. Ebenso ist die leichtere gegenüber der schwereren Teilnahmeform subsidiär, sodass die Beihilfe gegenüber der Anstiftung zurücktritt (vgl. Rz. 95ff.).
Rz. 120
Konsumtion als dritte Art der Gesetzeskonkurrenz ist gegeben, wenn ein Delikt typischerweise vor, während oder nach einem anderen Delikt begangen wird und der Unrechtsgehalt der Begleittat typischerweise von der Haupttat mit erfasst ist. Z. B. konsumiert § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB, die Verletzung des Briefgeheimnisses durch Öffnen eines verschlossenen Schriftstücks, die von § 303 StGB erfasste Sachbeschädigung an dem Verschluss des Schriftstücks. Der Unterschied zur Spezialität liegt darin, dass bei der Konsumtion nicht auf den abstrakten Inhalt der Normen, sondern auf das regelmäßige Zusammentreffen im Einzelfall abgestellt wird.
Rz. 121
Auch wenn zwischen mehreren Straftaten eine Tatmehrheit (vgl. Rz. 134ff.) besteht, kann es dazu kommen, dass einige der Taten nicht bestraft werden, weil ein unechtes Konkurrenzverhältnis besteht. Dies ist d...