6.1 Allgemeines
Rz. 200
§ 369 Abs. 1 Nr. 4 AO erklärt die sog. "sachliche" Begünstigung, die in § 257 StGB geregelt ist, zur Steuerstraftat, sofern die Vortat eine Steuerstraftat i. S. v. § 369 Abs. 1 Nr. 1–3 AO ist.
Die "persönliche" Begünstigung hingegen, die in den §§ 258, 258a StGB tatbestandlich verselbständigt als Strafvereitelung geregelt ist, ist keine Steuerstraftat. Auch andere tatbestandlich verselbständigte Begünstigungshandlungen werden nicht von § 369 Abs. 1 Nr. 4 AO erfasst. Dies gilt z. B. für die Geldwäsche gem. § 261 StGB, die auch dann keine Steuerstraftat darstellt, wenn sie Anschlusstat einer gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung ist, vgl. § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4b StGB.
6.2 Normzweck
Rz. 201
Allgemein wirkt bei der Begünstigung der Täter auf die Sicherung der aus der Vortat erlangten Vorteile hin, d. h. er nimmt gegen die Rechtsordnung gerichtete Handlungen vor, durch die die Restitution des rechtmäßigen Zustands vereitelt werden soll. Die Rechtsordnung erfordert jedoch, dass dem Vortäter (vgl. Rz. 203f.) der erlangte Vorteil wieder entzogen wird. Die Begünstigungshandlung (vgl. Rz. 205ff.) zielt darauf ab, dies zu verhindern und den geschaffenen rechtswidrigen Zustand zu erhalten, der sonst durch das Eingreifen der Steuerverwaltung oder der Strafverfolgungsorgane gegen den Vortäter beseitigt werden könnte. Der Täter der Begünstigung beseitigt oder mindert gegenüber dem Verletzten der Vortat somit die Möglichkeit der Schadenswiedergutmachung, die durch die Einziehung der erlangten Vorteile möglich wäre.
Die Begünstigung ist dementsprechend die zu einer selbstständigen Straftat erhobene nachträgliche Hilfeleistung, also nachträgliche Beihilfe zu einer begangenen (Steuer-)Straftat (vgl. Rz. 203). Unter diesem Gesichtspunkt ist die Begünstigung nicht nur als ein Angriff auf die Rechtspflege zu sehen, sondern sie enthält auch einen Angriff auf den Restitutionsanspruch des Geschädigten, sodass sie sich mittelbar auch auf den durch die Vortat geschützten einzelnen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bezieht.
Rz. 202
Da die rechtswidrige, nachträglich unterstützte Vortat einer Begünstigung nicht zwingend ein Vermögensdelikt sein muss, handelt es sich auch bei der Begünstigung ebenfalls nicht um ein Vermögensdelikt. § 257 StGB schützt neben dem Restitutionsanspruch des durch die Vortat Betroffenen auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.
6.3 Objektiver Tatbestand
6.3.1 Rechtswidrige Vortat
Rz. 203
Der objektive Tatbestand setzt eine rechtswidrige Tat voraus. Folglich müssen der objektive und der subjektive Tatbestand der Vortat erfüllt und sie muss rechtswidrig sein. Ob der Täter der Vortat hingegen schuldlos ist oder in seiner Person ein persönlicher Schuldausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund eingreift, ist ohne Bedeutung. Die Begünstigung ist insoweit nicht streng akzessorisch zur Vortat.
Auch muss die Vortat nicht vollendet sein, da auch ein strafbarer Versuch oder eine mit Strafe bedrohte Vorbereitung als Vortat ausreicht, sofern die Vortat dem Vortäter Vorteile gebracht hat oder bringen soll. Weil sie dem Vortäter in aller Regel aber noch keinen Vorteil bringen, werden vorbereitete oder versuchte Taten insoweit kaum praktische Relevanz erlangen. Bei der Vortat i. S. d. § 257 StGB kann es sich auch um eine strafbare Beteiligung an einer Tat oder eine fahrlässige Tat handeln. Ordnungswidrigkeiten scheiden hingegen aus.
Rz. 204
Die tauglichen Vortaten einer Begünstigung als Steuerstraftat ergeben sich aus der abschließenden Aufzählung in § 369 Abs. 1 Nr. 4 AO.
Demnach ist eine taugliche Vortat i. d. S. nur die Begünstigung einer anderen Person, die eine Steuerstraftat nach § 369 Abs. 1 Nr. 1–3 AO begangen hat:
Die Begünstigung einer Person, die eine Begünstigung einer Steuerstraftat i. d. S. begangen hat, ist nach § 369 Abs. 1 Nr. 4 AO keine Steuerstraftat.
Wie sich daraus ergibt, kann es sich bei der Vortat einer Begünstigung als Steuerstraftat ausschließlich um eine Vorsatztat handeln, da die in § 369 Abs. 1 Nr. 1–3 AO benannten Taten nur bei vorsätzlicher Begehung strafbar sind.