2.1 Anspruch

 

Rz. 6

Bürgerlich-rechtlich ist unter einem Anspruch das Recht zu verstehen, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen.[1] Gegenstand eines bürgerlich-rechtlichen Anspruchs können Verhaltensweisen aller Art sein. Im Vergleich dazu ist der Anspruchsbegriff des § 37 Abs. 1 AO enger, weil die dort aufgezählten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis allesamt Geldleistungen zum Gegenstand haben.[2] Konkretisiert werden die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch den jeweiligen Gläubiger und Schuldner, die Art des Anspruchs und den Zeitraum, auf den sich der Anspruch bezieht.[3]

Nach § 38 AO entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.[4] Für den Anspruchsinhaber (Gläubiger) erwächst daraus eine Forderung, für den Anspruchsgegner (Schuldner) eine Schuld. Je nachdem, ob sie den Anspruch aus der Sicht des Gläubigers oder des Schuldners betrachtet, verwendet die AO anstelle des Begriffs "Anspruch" auch die Begriffe "Forderung"[5] und "Schuld".[6]

[2] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO Rz. 2; Klein/Ratschow, AO, 15. Aufl. 2020, § 37 Rz. 3.
[3] Ähnlich Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO Rz. 2.
[4] Vgl. im Einzelnen die Erl. bei Horn, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, zu § 38 AO.
[5] Vgl. § 45 AO.
[6] Vgl. §§ 33, 44, 45, 50 AO.

2.2 Steuerschuldverhältnis

 

Rz. 7

Steuerschuldverhältnis ist das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger eines der in § 37 Abs. 1 AO aufgezählten Ansprüche. Schuldner eines Anspruchs ist der zur Leistung Verpflichtete, Gläubiger der zum Fordern der Leistung Berechtigte.

Einzelne wichtige Regeln für das Steuerschuldverhältnis sind in §§ 3750 AO zusammengestellt. Daneben enthält die AO noch weitere Regeln zum Steuerschuldverhältnis, insbesondere in den Vorschriften zum Erhebungsverfahren.[1] In einzelnen Vorschriften werden schuldrechtliche Regeln des bürgerlichen Rechts für sinngemäß anwendbar erklärt[2], in anderen Vorschriften die entsprechende Anwendung solcher Regeln vorausgesetzt.[3] Darüber hinaus finden bürgerlich-rechtliche Vorschriften Anwendung, ohne dass dies ausdrücklich angeordnet wird.[4] Zum Teil trifft die AO allerdings auch vom bürgerlichen Rechts abweichende Regelungen.[5]

 

Rz. 8

Obwohl die AO in verschiedener Hinsicht auf bürgerlich-rechtliche Regelungen zurückgreift, ist das Steuerschuldverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur.[6] Es entsteht aufgrund Gesetzes und unterliegt nicht der Disposition der Beteiligten. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung[7] fordert eine Verwirklichung der steuerlichen Ansprüche und Verpflichtungen. Die in § 46 AO zugelassene Abtretung, Verpfändung und Pfändung von Erstattungsansprüchen ändert nichts am öffentlich-rechtlichen Charakter der zwischen dem Fiskus und dem Abtretenden bzw. dem Abtretungsempfänger bestehenden Rechtsbeziehung.[8] Grundlage für die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind die in § 218 Abs. 1 AO aufgeführten Verwaltungsakte; lediglich bei Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands. Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung dieser Ansprüche betreffen, ist nach § 218 Abs. 2 AO durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden.

Rz. 9 einstweilen frei

[2] Z. B. bei der Aufrechnung in § 226 AO.
[3] Z. B. zur Abtretung in § 46 AO.
[4] Z. B. für Leistungen erfüllungshalber durch Scheckzahlung nach § 364 BGB und für Leistungen an den Überbringer einer Quittung nach § 370 BGB.
[5] Z. B. zum Erlass nach § 227 AO – gegenüber § 397 BGB – und zur Verjährung nach § 232 AO – gegenüber § 222 BGB.
[6] BFH v. 14.7.2004, I R 100/03, BFH/NV 2004, 1688; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO Rz. 1.
[7] Pahlke, in Pahlke/Schwarz, AO/FGO, § 3 AO Rz. 60ff.
[8] Boeker, in HHSp, AO/FGO, § 37 AO Rz. 8.

2.3 Die einzelnen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

2.3.1 Steueranspruch

 

Rz. 10

Steueranspruch ist der Anspruch des Steuergläubigers gegen den Steuerschuldner[1] auf Zahlung einer Steuer i. S. v. § 3 Abs. 1 AO. Zum Steueranspruch gehören auch die Ansprüche auf Vorauszahlungen.[2] Steuern sind auch die Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nr. 20 und 21 UZK.[3] Allerdings ergeben sich für diese aus dem EU-Recht zum Teil besondere Regelungen, die die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts überlagern bzw. verdrängen.[4]

Kein Steueranspruch ist der Anspruch des Steuergläubigers gegen den Entrichtungspflichtigen, der eine Steuer für Rechnung des Steuerschuldners einzubehalten und abzuführen hat[5], wie etwa der Arbeitgeber die LSt[6] oder der Schuldner der Kapitalerträge bzw. die den Verkaufsauftrag ausführende oder die Kapitalerträge auszahlende Stelle im Fall der KapESt.[7] Anders als die Steuerschuld ist die Entrichtungspflicht keinen Billigkeitsmaßnahmen (Stundung oder Erlass) zugänglich.[8]

[2] Schlücke, in Gosch, AO/FGO, § 37 AO Rz. 31; Klein/Ratschow, AO, 15. Aufl. 2020, § 37 Rz. 4.
[4] Schlücke, in Gosch, AO/FGO, § 37 AO Rz. 32.
[5] BFH v. 24.3.1998, I R 120/97, BStBl II 1999, 3; Drüen, in Tipke/Kruse, ...

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