Rz. 87
Soweit in den Fällen der Abtretung, Pfändung oder Verpfändung der Abtretungsempfänger, Pfändungs- oder Pfandgläubiger als Leistungsempfänger anzusehen sind (s. Rz. 78ff.), richtete sich der Rückforderungsanspruch vor Einfügung des § 37 Abs. 2 S. 3 AO ausschließlich gegen diese. Eine Inanspruchnahme des Abtretenden, Pfändungsschuldners oder Verpfänders war ausgeschlossen.
Nach dem durch Art. 26 des JStG 1996 v. 11.10.1995 eingefügten § 37 Abs. 2 S. 3 AO richtet sich der Rückforderungsanspruch im Fall der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung nunmehr "auch" gegen den Abtretenden, Verpfänder oder Pfändungsschuldner. Mit der Einführung dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber verfahrensrechtliche und organisatorische Schwierigkeiten bei den FÄ vermeiden, die sich aus der höchstrichterlichen Rspr. zum Leistungsempfänger in diesen Fällen ergeben hatten. Ferner wollte er den Abtretenden davor schützen, dass der Abtretungsempfänger von der Rückforderung Kenntnis erhält. Schließlich wollte er missbräuchlichen Abtretungen entgegenwirken. Die Vorschrift gilt für alle bei Inkrafftreten des JStG 1996 am 21.10.1995 noch nicht abgeschlossenen Verfahren. Die sich daraus ergebende Rückwirkung auf Abtretungen, die zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits vollzogen waren, begegnete verfassungsrechtlichen Bedenken.
Rz. 88
Die Verwendung des Worts "auch" bringt zum Ausdruck, dass die Erstattungspflicht nach § 37 Abs. 2 S. 3 AO neben die sich aus § 37 Abs. 2 S. 1 AO ergebende Rückzahlungspflicht des Abtretungsempfängers oder Pfand- bzw. Pfändungsgläubigers tritt. Die Vorschrift setzt damit voraus, dass jene nach allgemeinen Grundsätzen als Leistungsempfänger anzusehen sind. Sie macht die in ihr genannten Personen selbst nicht zu Leistungsempfängern und statuiert auch keine von der Eigenschaft als Leistungsempfänger unabhängige Erstattungspflicht des Abtretungsempfängers oder Pfand- bzw. Pfändungsgläubigers. Der Sache nach normiert die Vorschrift daher einen – systematisch deplatzierten – Haftungstatbestand.
Rz. 89
Die Haftung der in § 37 Abs. 2 S. 3 AO bezeichneten Personen setzt die Entstehung des Rückforderungsanspruchs gegen den jeweiligen Leistungsempfänger voraus. Ob sie darüber hinaus von der Wirksamkeit der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung abhängt, ist bisher nicht abschließend geklärt. Dagegen spricht, dass die Beteiligten eine dem FA angezeigte Abtretung oder Verpfändung nach § 46 Abs. 5, Abs. 6 S. 3 AO ohne Rücksicht auf deren Wirksamkeit gegen sich gelten lassen müssen. Für den Fall der Nichtigkeit eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nach § 46 Abs. 6 Satz 2 AO kommt allerdings eine andere Beurteilung in Betracht, weil die Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 46 Abs. 6 S. 1 AO von dem FA ohne Weiteres überprüft werden können und müssen.
Rz. 90
Auf die Abzweigung von Kindergeld nach § 74 Abs. 1 EStG ist § 37 Abs. 2 S. 3 AO weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Eine analoge Anwendung der Vorschrift ist ausgeschlossen, weil die für ihre Einführung maßgeblichen Gründe (vgl. Rz. 87) im Fall der auf Verwaltungsakt der Familienkasse beruhenden Abzweigung nicht gegeben sind.
Rz. 91
Zwischen den Beteiligten i. S. d. § 37 Abs. 2 S. 3 AO und den jeweiligen Leistungsempfängern besteht ein Gesamtschuldverhältnis i. S. v. § 44 AO. Die Finanzbehörde hat daher ein Auswahlermessen, welchen der Gesamtschuldner sie in Anspruch nimmt. Im Regelfall ist dessen Ausübung im Sinne einer Inanspruchnahme des Leistungsempfängers vorgeprägt. Zur Begründung einer dahingehenden Ermessensentscheidung reicht der Hinweis aus, dass jenem der Erstattungsbetrag zugeflossen ist. Eine Inanspruchnahme der in § 37 Abs. 2 S. 3 AO bezeichneten Beteiligten kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Leistungsempfänger zahlungsunfähig ist oder sich aus seiner Inanspruchnahme nachteilige Konsequenzen für die Kreditwürdigkeit des Abtretenden oder Verpfänders ergeben könnten.
Rz. 92–93 einstweilen frei