Rz. 87

Die Feststellung der Steuerverkürzung aufgrund der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften auf den festgestellten Sachverhalt und die daraus folgende Steuerberechnung haben als Rechtsanwendung durch das Strafgericht selbst zu erfolgen[1]. Das Gericht hat die Besteuerungsgrundlagen aufgrund eigener Feststellungen selbst zu ermitteln und die verkürzten Steuern selbst zu berechnen. Die Bezugnahme auf Berechnungen der Finanzbehörde, der Steuerfahndung oder auf Aussagen eines als Zeugen gehörten Finanzbeamten ist nicht ausreichend[2]. Das Strafgericht ist bei der Anwendung des Steuerrechts zur Ermittlung der Steuerverkürzung an die Rechtsauffassung der Finanzbehörde und des FG nicht gebunden[3]. Zur Darstellung in den Urteilsgründen s. Rz. 92.

 

Rz. 87a

Die Ermittlung des der Steuerberechnung zugrunde zu legenden Sachverhalts erfolgt nach den Regeln des Strafverfahrensrechts. Insbesondere gilt der Grundsatz "in dubio pro reo"[4]. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass das Strafgericht dem Tatbeteiligten jeden Einwand abnehmen und verheimlichte Einnahmen exakt belegen muss[5].

Die im Besteuerungsverfahren geltenden steuerlichen Beweislast- und Vermutungsregeln finden im Strafverfahren keine Anwendung[6]. Dies gilt jedoch nicht, soweit die Erbringung des Nachweises Voraussetzung des materiellen Steueranspruchs ist[7].

 

Rz. 88

Bleibt bei der gerichtlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen eine tatsächliche Ungewissheit hinsichtlich der Höhe des Steueranspruchs, so kann die Feststellung auch im Weg der Schätzung erfolgen[8]. Während im Besteuerungsverfahren für die Schätzung ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab mit einem Unsicherheitszuschlag zulasten des Stpfl. ausreicht, muss bei der Schätzung im Strafverfahren das Strafgericht davon überzeugt sein, dass zumindest in dieser Höhe eine Steuerhinterziehung vorliegt[9]. Das Gericht darf eine finanzbehördliche Steuerschätzung nicht ungeprüft übernehmen, sondern hat grundsätzlich eine eigene Schätzung vorzunehmen[10]. Der Grundsatz "in dubio pro reo" (s. Rz. 87a) gilt auch hier[11]. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten – und erforderlichenfalls kombiniert anzuwendenden – Schätzungsmethoden in Betracht, einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des BMF[12].

[3] S. § 393 AO Rz. 2; vgl. BGH v. 28.1.1987, 3 StR 373/86, wistra 1987, 139; zur Aussetzung des Strafverfahrens bis zum Abschluss des Besteuerungsverfahrens s. Erl. zu § 396 AO.
[4] BGH v. 18.4.1978, 5 StR 692/77, UR 1978, 151; BGH v. 24.6.1987, 3 StR 152/87, wistra 1987, 292; BGH v. 4.2.1992, 5 StR 655/91, wistra 1992, 147.
[5] Dörn, wistra 1993, 50; s. entspr. Rz. 128.
[6] OLG Düsseldorf v. 26.8.1988, 3 Ws 512/88, wistra 1989, 72; Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 370 AO Rz. 56.
[7] Vgl. für das Vorliegen der Rechnung beim Vorsteuerabzug BayObLG v. 26.10.1987, RReg 4 St 164/87, wistra 1988, 76; für den Ausfuhrnachweis BGH v. 8.2.1983, 1 StR 765/82, wistra 1983, 115; s. auch Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 370 AO Rz. 56 m. w. N.
[8] Marschall, DStR 1979, 587; Bilsdorfer, DStZ 1982, 298; Spriegel, wistra 1987, 48; Joecks, wistra 1990, 52; BGH v. 21.5.2007, 5 StR 58/97, wistra 2007, 345.
[9] Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 370 AO Rz. 59.
[11] Stypmann, wistra 1983, 95; Joecks, wistra 1990, 52, 54.
[12] BGH v. 21.5.2007, 5 StR 58/97, wistra 2007, 345.

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