Dr. Karsten Webel, Dr. Wolfgang Dumke †
4.3.1 Begriff
Rz. 103
Ein Steuervorteil i. S. v. § 370 Abs. 1 S. 1 AO ist – abgesehen von der in der fehlerhaften unterbliebenen oder verspäteten Festsetzung einer Steuer liegenden Steuerverkürzung – jede günstigere Gestaltung des Steuerrechtsverhältnisses (s. § 33 AO Rz. 3), die sich auf die Realisierung des einzelnen Steueranspruchs (s. Rz. 1) auswirkt, also zur Folge hat, dass die Finanzbehörde den Anspruch nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in voller Höhe (s. entspr. Rz. 84) geltend machen kann oder die Verwirklichung des Anspruchs gefährdet ist.
4.3.2 Vorteilserlangung
Rz. 104
Der Steuervorteil ist erlangt, wenn er infolge der Tathandlung nach § 370 Abs. 1 AO (s. Rz. 36) von der Finanzbehörde dem Tatbeteiligten oder einem Dritten (s. Rz. 105) gewährt oder belassen wird, also der Taterfolg eingetreten ist (s. Rz. 76).
Erforderlich ist zur Gewährung des Steuervorteils eine besondere Maßnahme der Finanzbehörde, i. d. R. also ein Verwaltungsakt, bzw. zur Belassung das stillschweigende oder ausdrückliche Abstandnehmen von einer Regelung. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 153 Abs. 2 AO eine generelle Anzeigepflicht für den Fall normiert, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise entfallen sind. Bei vorsätzlicher Verletzung dieser Anzeigepflicht (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; Rz. 62) kann die Belassung des steuerlichen Vorteils auch durch finanzbehördliche Unkenntnis verursacht sein. Für die Belassung ist also eine konkrete Willensbildung der Finanzbehörde nicht erforderlich.
Rz. 105
Der Täter der Steuerhinterziehung muss den Steuervorteil nicht für sich, also in seinem eigenen Steuerrechtsverhältnis, erlangt haben, sondern die Tat kann auch zugunsten Dritter erfolgen (s. Rz. 18). Bei einer Verletzung der Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 2 AO (s. Rz. 62) muss der Täter allerdings Träger der Rechtspflicht sein (s. Rz. 23).
4.3.3 Ungerechtfertigter Steuervorteil
Rz. 106
Steuervorteile sind nicht gerechtfertigt, wenn auf die Gewährung oder Belassung kein Rechtsanspruch besteht, wenn der Sachverhalt, der die gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung oder Belassung ist, nicht vorliegt oder die finanzbehördliche Ermessensentscheidung durch die Tathandlung (s. Rz. 36) beeinflusst wird. Er ist auch nicht gerechtfertigt, wenn der Steuervorteil, auf den sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.
4.3.4 Anwendungsfälle
Rz. 107
Steuervorteile i. d. S. sind die
Erlangung einer Steuervergütung, z. B.
Erlangung eines unrichtigen Grundlagenbescheids i. S. v. § 171 Abs. 10 AO, also die Erlangung eines Feststellungsbescheids hinsichtlich Besteuerungsgrundlagen, eines Steuermessbescheids oder eines anderen Verwaltungsakts, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist (s. Rz. 273, 85b, 97; zur Änderungspflicht der Finanzbehörde s. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO); darunter fallen somit z. B. auch
2.1 |
Gewerbesteuermessbescheide, in denen gem. § 14 S. 1 GewStG die Grundlagen des Folgebescheids gesondert festgesetzt werden, selbst wenn die Konkretisierung der GewSt erst durch die hebeberechtigte Gemeinde im Gewerbesteuerbescheid erfolgt; |
2.2 |
Erlangung einer Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Gewerbeverlusts, |
- Erlangung einer nur bedingten Steuer und eines Fälligkeitsaufschubs;
- Erlangung eines Erhebungsverzichts, z. B. einer Billigkeitsmaßnahme in Form einer abweichenden Steuerfestsetzung oder eines Erlasses;
- Erlangung einer Erhebungsverzögerung, z. B. durch Stundung, durch Zahlungsaufschub oder durch Aussetzung der Vollziehung;
- Eintragung eines zu hohen Steuerfreibetrags auf der LSt-Karte;
Rz. 108