Dr. Karsten Webel, Dr. Wolfgang Dumke †
6.1 Allgemeines
Rz. 120
Die tatbestandsmäßige und rechtswidrige Steuerhinterziehung kann nur dann nach § 370 AO geahndet werden, wenn die Tat schuldhaft begangen wurde (s. § 369 AO Rz. 18). Das Maß der persönlichen Schuld ist Grundlage der Strafzumessung (s. Rz. 196).
Rz. 121
Schuld i. d. S. ist die Vorwerfbarkeit der Tatbestandsverwirklichung (s. grundsätzlich § 369 AO Rz. 18). Die Steuerhinterziehung wurde schuldhaft begangen, wenn der Tatbeteiligte (s. Rz. 11) den Straftatbestand mit Vorsatz (s. Rz. 124) und Unrechtsbewusstsein (s. Rz. 132) verwirklicht hat und Entschuldigungsgründe (s. Rz. 134) nicht vorliegen.
Rz. 122
Spezielle Schuldmerkmale erfordert der subjektive Tatbestand des § 370 AO nicht. Insbesondere setzt die Steuerhinterziehung nicht eine besondere "Steuerunehrlichkeit" oder "Bereicherungsabsicht" voraus, wie sie von der h. M. als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für § 392 RAO gefordert wurde.
6.2 Vorsatz
6.2.1 Grundlagen
Rz. 123
Strafbar nach § 370 AO ist gem. § 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 15 StGB nur die vorsätzlich begangene Steuerhinterziehung. Fehlt der Vorsatz, so kommt bei leichtfertigem Verhalten ggf. eine Ahndung der Handlung als Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO in Betracht.
6.2.2 Begriff und Merkmale
Rz. 124
Vorsatz i. d. S. ist die wissentliche und willentliche Vornahme der Tathandlung und Verwirklichung des Taterfolges (grundsätzlich § 369 AO Rz. 21).
Für die Steuerhinterziehung ist der bedingte Vorsatz ausreichend, also der Tatbeteiligte den Taterfolg zwar nicht direkt anstrebt, aber dessen Eintritt als Nebenfolge seines eigentlichen Ziels für möglich hält und bewusst und billigend in Kauf nimmt.
Das für den Vorsatz erforderliche Wissen muss aktuell vorhanden sein. Dies bedeutet zwar nicht ein permanentes "Daran-Denken" und die volle Aufmerksamkeit des Bewusstseins hinsichtlich der Tathandlung, erforderlich aber ist ein "Mitbewusstsein" im Vorstellungsbild des Tatbeteiligten.
Rz. 125
Bei der Steuerhinterziehung gehört es zum Vorsatz, dass der Tatbeteiligte den angegriffenen Steueranspruch (s. Rz. 2) kennt und ihn trotz dieser Kenntnis verkürzen will. Der Tatbeteiligte braucht allerdings nicht die Steuerart, die Anspruchsgrundlagen, die Einkunftsart oder den geschuldeten Steuerbetrag zu kennen, er muss es nur für möglich halten, dass der Sachverhalt steuerliche Folgen auslöst und einen Steueranspruch begründet. Hierbei reicht es – da sonst nur die Strafbarkeit von Steuerfachleuten in Betracht käme – aus, dass der Täter anhand einer u. U. laienhaften Bewertung der Umstände erkennt, dass ein Steueranspruch existiert, auf den er einwirkt. In diesem Zusammenhang ist auf die konkreten Fähigkeiten des Betroffenen zur möglichen steuerrechtlichen Wertung von Tatbeständen abzustellen. Es genügt daher für die Annahme einer Steuerhinterziehung, wenn sich der Tatbeteiligte aufgrund dieser sog. "Parallelwertung in der Laiensphäre" des sozialen Sinngehalts seines Verhaltens bewusst ist.
Rz. 126
Der Vorsatz erfordert bei der Steuerhinterziehung durch unrichtige Angaben nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (s. Rz. 41), dass sich der Erklärende (s. Rz. 16) bewusst ist, etwas objektiv Falsches und damit Unwahres auszusagen. Hat der Beschuldigte gegenüber seinem steuerlichen Berater die für die Besteuerung relevanten Angaben gemacht, so darf er darauf vertrauen, dass sein Berater rechtzeitig richtige und vollständige Erklärungen fertigt. Es kann in diesem Fall nicht ohne Weiteres von einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung ausgegangen werden.
Rz. 127
Bei der Steuerhinterziehung durch pflichtwidriges Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (s. Rz. 54) muss der Pflichtenträger (s. Rz. 23) die Existenz und den Umfang der Pflicht kennen bzw. für möglich halten und billigend in Kauf nehmen. Nimmt die Finanzbehörde die durch den steuerlichen Berater des Stpfl. verursachte regelmäßige Verspätung bei der Abgabe der USt-Voranmeldungen jahrelang hin, ohne auf die möglichen strafrechtlichen Folgen der zeitlichen Steuerverkürzung (s. Rz. 59) hinzuweisen, so wird regelmäßig der Vorsatz nicht gegeben sein.
Rz. 128
Über das Vorliegen des Vorsatzes entscheidet der Tatrichter. Er hat für jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum unter Schuldgesichtspunkten so klare Feststellungen zu treffen, dass sowohl die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen als auch die Berechnung der verkürzten Steuern der Höhe nach erkennbar werden. Eine ins Einzelne gehende Berechnungsdarstellung ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn ein sachkundiger Angeklagter ein Geständnis abgelegt hat (s. Rz. 92).
Entlastende Angaben des Tatbeteiligten darf er nicht ohne Weiteres weder als unerheblich abtun noch als unwiderlegbar zugrunde legen. Er muss vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob die Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Dies gilt insbesondere f...