2.1 Grundlagen
2.1.1 Allgemeines
Rz. 1a
Im Hinblick auf die strafbefreiende Wirkung der "Selbstanzeige" (Rz. 16) ist § 371 AO für die rechtsanwendende Praxis wohl die wichtigste Vorschrift des Steuerstrafrechts. Diese Rechtswirkung der "Selbstanzeige" knüpft das Gesetz an drei ausschließlich objektive Merkmale (Rz. 3b), die zusammen erfüllt sein müssen:
- Eine "Selbstanzeigeerklärung" (Rz. 27) wird abgegeben.
- Ein Ausschlussgrund (Rz. 62) liegt nicht vor.
- Die Nachentrichtungspflicht (Rz. 122) wird erfüllt.
Rz. 1b
Die Ausnahmeregelung des § 371 AO lässt die allgemeinen strafrechtlichen Regelungen unberührt. Unabhängig von § 371 AO kann Straffreiheit demgemäß auch durch den Rücktritt vom Versuch der Steuerstraftat erlangt werden.
Rz. 1c
Sonderregelungen zu § 371 AO ergeben sich für die
- "Selbstanzeige" einer leichtfertigen Steuerverkürzung in § 378 Abs. 3 AO,
- "Strafbefreiende Erklärung" von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen durch das "Steueramnestie-Gesetz" gem. Art. 17 Steuerreformgesetz 1990 v. 25.7.1988 bis zum 31.12.1990,
- "Strafbefreiende Erklärung" durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz v. 23.12.2003 bis zum 31.12.2004.
2.1.2 Zweck der "Selbstanzeige"
Rz. 2
Die "Selbstanzeige" ist eine steuerstrafrechtliche Besonderheit des deutschen Strafrechts, weil bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 371 Abs. 1–3 AO Straffreiheit bei beendeter Straftat gewährt wird. Hierin liegt der gesetzliche Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch. Deswegen wird die Regelung verschiedentlich auch als "permanente Amnestie" bezeichnet. Da der Eintritt der Straffreiheit noch von der Nachentrichtung abhängig ist (Rz. 122), handelt es sich inhaltlich um einen gesetzlichen Ablass steuerstrafrechtlicher Sünden bei Ausgleich des fiskalischen Nachteils.
Rz. 3
Die Gewährung der strafbefreienden Wirkung wird überwiegend aus steuerpolitischen Erwägungen gerechtfertigt. Wesentlicher Gesichtspunkt ist hierbei die Erschließung einer dem Fiskus bisher unbekannten Steuerquelle. Der durch die Nachentrichtung bewirkte fiskalische Vorteil wird danach auch von der höchstrichterlichen Rspr. als Zweck der Strafbefreiung angesehen.
Demgegenüber wird z. T. dem kriminalpolitischen und strafrechtlichen Aspekt der Regelung die größere Bedeutung eingeräumt, also einen Anreiz für die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit und gesetzmäßigem Verhalten zu geben, bei Wiedergutmachung des verwirklichten Steuerschadens.
Der BGH vertritt die Auffassung, dass die in dem Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch (Rz. 16) liegende Privilegierung des Steuerstraftäters gegenüber anderen Straftätern nur dadurch gerechtfertigt ist, wenn neben der Erschließung der verborgenen Steuerquelle auch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit gegeben ist. Dieser Rückkehr kommt nach Ansicht des BGH heutzutage mehr Gewicht zu, als dem fiskalischen Zweck der Erschließung unbekannter Steuerquellen.
2.1.3 Auslegung der Norm
Rz. 3a
Die Auslegung des § 371 AO wird maßgeblich durch die Bestimmung dessen Zwecks (Rz. 3) geprägt. Wird die Priorität auf den fiskalischen Vorteil gelegt, so folgt hieraus auch eine weite Auslegung der positiven (§ 371 Abs. 1 u. 3 AO) und eine enge Auslegung der negativen (§ 371 Abs. 2 AO) Voraussetzungen der Straffreiheit. Wird die Priorität demgegenüber auf den kriminalpolitischen Aspekt gelegt, so folgt aus dem Ausnahmecharakter der Vorschrift und dem darin enthaltenen Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch (Rz. 16) eine restriktive Auslegung der positiven (§ 371 Abs. 1 u. 3 AO) und eine öffnende Auslegung der negativen (§ 371 Abs. 2 AO) Voraussetzungen der Straffreiheit.
Rz. 3b
Unbeschadet dieser Tendenzen in der Auslegung der Vorschrift knüpft die strafbefreiende Wirkung des § 371 AO (Rz. 16) ausschließlich an objektive Kriterien an (Rz. 1a, 27, 40). Eine subjektive Vorstellung des Tatbeteiligten, et...