Rz. 18
Die Wertung des Verhaltens im Besteuerungsverfahren als Selbstanzeigeerklärung (Rz. 69ff.) ist nichts anderes als die Schöpfung eines Tatverdachts i. S. v. § 152 Abs. 2 StPO. Hiernach sind die Strafverfolgungsorgane bzw. ihre Ermittlungspersonen aufgrund des Legalitätsprinzips bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten. Die strafverfahrensrechtliche Konsequenz aus der Wertung eines steuerlichen Verhaltens als Selbstanzeige führt also regelmäßig (Rz. 15 zu den Ausnahmen) zur Einleitung eines Steuerstrafverfahrens nach § 397 AO wegen eines Verdachts der Steuerhinterziehung.
In den von § 398a AO erfassten Fällen ergibt sich dies schon daraus, dass in diesen Fällen eine Selbstanzeige nicht zur Strafaufhebung führt, sondern nur zu einem Verfahrenshindernis. Dieses greift auch erst ein, wenn der in § 398a AO genannte Geldbetrag entrichtet wurde.
Rz. 19
In diesem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist von der Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 2 AO bzw. der Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob der Tatverdacht begründet ist und strafrechtliche Konsequenzen durch Verhängung einer Strafe zu ziehen sind. Bis zum endgültigen Eintritt der Straffreiheit aufgrund der Selbstanzeige haben die Strafverfolgungsorgane alle strafrechtlichen Ermittlungen zu veranlassen oder zu führen.
In diesem Steuerstrafverfahren ist die Wirksamkeit der Selbstanzeige zu prüfen, also die Frage, ob die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1–3 AO erfüllt sind und dadurch Straffreiheit eingetreten ist.
Für die Steuerung des Verfahrens ergeben sich aufseiten des Stpfl. allerdings umfassende Möglichkeiten daraus, dass nach Ansicht der Finanzverwaltung von der Einleitung eines Strafverfahrens abzusehen ist, wenn die getätigten Angaben in der Selbstanzeige erkennbar richtig und vollständig sind, die nachzuzahlenden Steuern sowie die Zinsen nach § 235 AO und § 233a AO in voller Höhe beglichen wurden und keine Ausschlussgründe nach § 371 Abs. 2 S. 1 AO vorliegen. Folglich sollte gerade in Fällen, in denen die Strafverfolgungsorgane schon die Einleitung des Strafverfahrens anderen Stellen mitzuteilen haben und sich aus der Einleitung des Strafverfahrens – insb. disziplinar- und kammerrechtliche – Konsequenzen ergeben können (Rz. 40ff.), für eine entsprechende Aufbereitung der Selbstanzeige und eine gleichzeitige Nachzahlung gesorgt werden.
Entrichtet der "Selbstanzeigende" gleich mit der Selbstanzeigeerklärung den nachentrichtungspflichtigen Betrag, so verhindert er, wenn zweifelsfrei kein Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO gegeben ist, die Einleitung des Strafverfahrens. Gleichzeitig entfällt damit die Rechtsgrundlage strafprozessualer Mitteilungspflichten, wie sie sich aus "Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen – MiStra" ergibt.
Teilweise wird sogar die Ansicht vertreten, dass in den Fällen, in denen aus den o. g. Gründen die Einleitung eines Strafverfahrens nicht in Frage kommt, die Bußgeld- und Strafsachenstelle neben der ohnehin fehlenden steuerlichen auch keine strafrechtliche Ermittlungskompetenz hat. Folglich darf sie die strafrechtliche Beurteilung der Berichtigungserklärung – z. B. im Hinblick auf deren Vollständigkeit – ausschließlich nach der Akltenlage durchführen.
Rz. 20
Ein außerhalb des Steuerstrafverfahrens liegendes, unabhängiges "Selbstanzeige-Vorprüfungsverfahren" ist im Strafverfahrensrecht nicht vorgesehen und nicht statthaft.
Ergeben die strafrechtlichen Ermittlungen, dass sich einerseits der Verdacht einer strafbaren und verfolgbaren Handlung nicht erhärtet, also die vorsätzliche Steuerhinterziehung nicht vorliegt oder nicht nachgewiesen werden kann, oder dass andererseits die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1–3 AO erfüllt sind, so ist das anhängige Strafverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen, im Zwischenverfahren ist die Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 204 StPO abzulehnen. Ergibt sich erst in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung, dass aufgrund der Selbstanzeige Straffreiheit eingetreten ist, so erfolgt ein Freispruch durch Urteil.
Rz. 21
Diese theoretische strafprozessuale Prüfungsreihenfolge entspricht allerdings nicht der üblichen Verfahrenspraxis der Strafverfolgungsorgane. Diese wenden sich vielmehr nach der Einleitung des Strafverfahrens aufgrund der Selbstanzeigeerklärung i. d. R., sofern nicht noch andere Verdachtsmomente vorliegen, nicht den strafrechtlichen Ermittlungen zu, ob die Steuerhinterziehung bewiesen werden kann, sondern prüfen aus Vereinfachungsgründen mit Unterstellung der Steuerhinterziehung zunächst die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1–3 AO. Wenn das steuerliche Verhalten den Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO entspricht und ein Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO nicht vorliegt, setzen sie regelmäßig die Nachentrichtungsfrist nach § 371 Abs. 3 AO. Wird die Nachentrichtung fristgemäß erbracht, so wird das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Über die Frage, ob üb...