2.1.7.1 Persönlicher Strafaufhebungsgrund

 

Rz. 16

Der durch die rechtswidrige und schuldhafte Verwirklichung des Straftatbestands des § 370 AO entstandene staatliche Strafanspruch (§ 369 AO Rz. 7) wird bei Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 371 AO nachträglich beseitigt[1]. § 371 AO regelt also einen Strafaufhebungsgrund. Der Fortfall der Strafbarkeit lässt die Rechtswidrigkeit (§ 370 AO Rz. 117) und die Vorwerfbarkeit, d. h. die Schuld des Tatbeteiligten (§ 370 AO Rz. 121), der begangenen Steuerhinterziehung (Rz. 18) unberührt.

Die Straffreiheit tritt nach § 371 Abs. 1 S. 1 AO ein, wenn sämtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen (Rz. 1a) erfüllt sind. Bei einer "fehlgeschlagenen Selbstanzeige" bleibt die Strafbarkeit erhalten. Sie wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass die ­Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft von einer wirksamen Selbstanzeige ausgeht[2]. Die "fehlgeschlagene Selbstanzeige" kann allerdings zu einer Milderung bei der Strafzumessung[3] bis hin zur Einstellung des Verfahrens (Rz. 1b, 14) führen.

 

Rz. 17

Die den staatlichen Strafanspruch aufhebende Wirkung der "Selbstanzeige" tritt nur für denjenigen an der Tathandlung nach § 370 Abs. 1 AO Beteiligten (Rz. 29) ein, der die "Selbstanzeige" selbst erstattet hat oder für den die "Selbstanzeige" erstattet wurde (Rz. 30), also nur für diesen "persönlich".

[1] Rz. 2; vgl. z. B. BGH v. 24.10.1984, 3 StR 315/84, wistra 1985, 74; BayObLG v. 3.11.1989, RReg 4 St 185/89, wistra 1990, 159, 162; BFH v. 16.12.1997, VII B 45/97, BStBl II 1998, 231; BGH v. 20.5.2010, 1 StR 577/09, BFH/NV 2010, 1595 Rz. 5; Henneberg, BB 1973, 1301; Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 5; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 25 m. w. N.; Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 32; Kemper, in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 371 AO Rz. 5.
[2] Rz. 13 zur Verfahrensgestaltung; s. BGH v. 20.5.2010, 1 StR 577/09, BFH/NV 2010, 1595 Rz. 37; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 74.
[3] § 370 AO Rz. 219, Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 5.

2.1.7.2 Nichtahndung der Steuerhinterziehung

 

Rz. 18

Nach § 371 Abs. 1 S. 1 AO kommt einer "Selbstanzeige" nur in den Fällen des § 370 AO strafbefreiende Wirkung zu. Die Tat muss verübt sein (Rz. 28) und rechtlich als Steuerhinterziehung nach § 370 AO geahndet werden können[1].

Für die Straffreiheit nach § 371 AO ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut unerheblich die verkürzte Steuer (§ 370 AO Rz. 80, 80a), die Form der Tatbeteiligung an der Steuerhinterziehung (Rz. 29), das Stadium der Tat[2] und, ob eine besonders schwere Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 AO (§ 370 AO Rz. 153) vorliegt[3].

[1] § 370 AO Rz. 80 zum Anwendungsbereich.
[2] Versuch bzw. Vollendung; s. Rz. 28, 128 zur Nachentrichtungspflicht.

2.1.7.3 Ahndung sonstiger Steuerstraftaten

 

Rz. 19

Bei sonstigen Steuerstraftaten (§ 369 AO Rz. 5, 6) wirkt demgemäß (Rz. 18) nach dem eindeutigen Wortlaut des § 371 AO eine "Selbstanzeige" nicht strafbefreiend[1]. Bei diesen Straftatbeständen kommt auch eine entsprechende Anwendung der Sonderregelung (Rz. 2) des § 371 AO nicht in Betracht. Die Strafbarkeit dieser Taten besteht auch dann, wenn sie mit der angezeigten und nicht mehr strafbaren Steuerhinterziehung in Tateinheit (§ 369 AO Rz. 61, 72) stehen[2].

[1] § 369 AO Rz. 117 für die Begünstigung; h. M.; s. z. B. Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 32.
[2] Rz. 20; Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 211.

2.1.7.4 Ahndung anderer Straftaten

 

Rz. 20

Nicht strafbefreiend wirkt eine "Selbstanzeige" hinsichtlich sonstiger Straftaten, die keine Steuerstraftaten sind[1], auch wenn sie im Rahmen einer wirksamen "Selbstanzeige" einer Steuerhinterziehung aufgedeckt werden, und unabhängig davon, ob zur Steuerhinterziehung Tateinheit[2] oder Tatmehrheit[3] besteht[4].

Die Verfolgbarkeit dieser nichtsteuerlichen Straftaten kann aber durch § 393 Abs. 2 AO eingeschränkt sein, da das Steuergeheimnis[5] auch die Offenbarung ­einer solchen Straftat verhindert (§ 393 AO Rz. 50).

[1] § 370 AO Rz. 259 zum Verhältnis der Steuerhinterziehung zum Betrug nach § 263 StGB; zur Untreue nach § 266 StGB s. § 370 AO Rz. 261; zur Urkundenfälschung nach § 267 StGB s. § 370 AO Rz. 262.
[2] § 52 StGB.
[3] § 53 StGB.
[4] BGH v. 11.11.1958, 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100.
[5] § 30 AO.

2.1.7.5 Verfolgung der Tat als Steuerordnungswidrigkeit trotz "Selbstanzeige"

2.1.7.5.1 Ahndung der Steuergefährdung nach § 379 Abs. 1 AO

 

Rz. 21

Die "Selbstanzeige" schließt nur eine Bestrafung der Steuerhinterziehung nach § 370 AO aus (Rz. 18). Bewirkt die Tathandlung der Steuerhinterziehung zugleich eine Steuerordnungswidrigkeit, z. B. i. d. R. auch eine Steuergefährdung nach § 379 AO, so ist deren Ahndung nicht ausgeschlossen[1]. Wird nun wegen der Steuerhinterziehung eine Strafe nicht verhängt, so kann nach § 21 Abs. 2 OWiG die Handlung als Steuergefährdung geahndet werden (§ 379 AO Rz. 22), allerdings wird nach einer "Selbstanzeige" regelmäßig ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet bzw. ein eingeleitetes Verfahren wegen dieser Ordnungswidrigkeit eingestellt[2].

[1] BGH v. 5.5.2004, 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720, 2722; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 230 m. w. N.

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