Rz. 25
Unterliegt der Anzeigeerstatter aufgrund seines Berufsstands einer Disziplinargewalt, z. B. Beamte, Richter, Soldaten, oder standesrechtlichen Bestimmungen, z. B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Ärzte, Apotheker, so schließt die "Selbstanzeige" eine disziplinar- oder standesrechtliche Ahndung der pflichtwidrigen Handlung der Steuerhinterziehung regelmäßig nicht aus. Die "Selbstanzeige" muss dann jedoch als Grund für die Milderung der Ahndungsfolge berücksichtigt werden.
Rz. 25a
Allerdings erstreckt sich das Steuergeheimnis nach § 30 AO auch auf die Vornahme der "Selbstanzeigehandlung", sodass deren unbefugte Offenbarung als Verletzung des Steuergeheimnisses entsprechend § 393 Abs. 2 AO ein Verfolgungshindernis zur Folge hat.
Rz. 25b
Die generelle Pflicht zur Mitteilung der durch die "Selbstanzeige" offenbarten Steuerhinterziehung von Beamten und Richtern an den Dienstvorgesetzten kann durch Verwaltungsanweisungen oder gesetzliche Regelungen nicht begründet werden und wäre unter diesem Gesichtspunkt rechtswidrig.
Die Offenbarung ist nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO nur zulässig, wenn für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Die "Selbstanzeige" hindert allerdings die Annahme des zwingenden öffentlichen Interesses nicht. Dies wird jedoch regelmäßig nicht gegeben sein.
Ob die Offenbarung rechtmäßig erfolgt ist, ist in dem dienst- oder standesrechtlichen Verfahren zu prüfen, für eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO zur Verhinderung der Offenbarung ist der Finanzrechtsweg nicht gegeben.
Rz. 25c
Die Offenbarung ist nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO zulässig, wenn ein Amtsträger innerhalb seines dienstlichen Aufgabenbereichs eine Steuerhinterziehung begeht oder an ihr mitwirkt (§ 370 AO Rz. 21, 161, 164). Dieses öffentliche Interesse an dienstrechtlichen Maßnahmen wird im BMF v. 10.5.2000, bei Beamten und Richtern im Fall der Steuerhinterziehung, auch wenn durch "Selbstanzeige" Straffreiheit eingetreten ist, dann angenommen, wenn die verkürzte Steuer 5.000 DM oder mehr pro Besteuerungszeitraum beträgt, oder unabhängig von der verkürzten Steuer bei der Tatbegehung eine erhebliche kriminelle Energie, z. B. durch die Fälschung von Belegen, aufgewendet worden ist. Diese Regelung ist m. E. rechtswidrig, da sie nicht dem Regelungsinhalt des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO entspricht. Ein zwingendes öffentliches Interesse kann i. d. R. nur dann angenommen werden, wenn auf der Grundlage einer vorläufigen Bewertung der der offenbarenden Stelle vorliegenden Erkenntnisse zu erwarten ist, dass in einem förmlichen Disziplinarverfahren eine Disziplinarmaßnahme von einigem Gewicht verhängt werden wird, wie die Entfernung aus dem Dienst oder zumindest eine nachhaltige Degradierung.
Rz. 25d
Begeht ein Finanzbeamter eine Steuerhinterziehung zu eigenen oder fremden Gunsten außerhalb seiner dienstlichen Tätigkeit, quasi "in eigener Sache", so hindert dies die Annahme eines zwingenden öffentlichen Interesses nicht. An der Offenbarung von Erkenntnissen aus einem Strafverfahren gegenüber dem Dienstherrn eines Beamten besteht zwingendes öffentliches Interesse, wenn im Fall des Bekanntwerdens der von dem Beamten begangenen Straftaten das Vertrauen der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße Arbeit der Verwaltung zutiefst erschüttert wäre.
Rz. 25e
Bei einem Angestellten der Finanzbehörde kann eine Steuerhinterziehung in erheblicher Höhe, deren Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO zulässig ist (Rz. 25b–25d), auch dann ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung sein, wenn der Angestellte die Hinterziehung durch eine Selbstanzeige nach § 371 AO selbst aufgedeckt hat.