Rz. 48

Aufgrund des Erfordernisses der Materialbeschaffung (Rz. 43) begründet nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO eine "Selbstanzeige" ohne konkrete Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen keine Anwartschaft auf Straffreiheit (Rz. 43, 45).

 
Praxis-Beispiel

Unternehmer U hat an einen Kunden K Waren ohne Rechnung geliefert. Er erfährt von K, dass anlässlich der dortigen Betriebsprüfung Kontrollmitteilungen über die Zahlungen an U, die in Form von Eigenbelegen in die Buchführung eingeflossen sind, gefertigt wurden. U teilt sofort seinem FA mit, dass die Umsätze und Erträge aus den Geschäften mit K steuerlich nicht erfasst seien, und bittet um Gewährung einer Frist von vier Wochen für die Zusammenstellung der erforderlichen Angaben.

In einer solchen "Selbstanzeige dem Grunde nach" liegt nur die Ankündigung einer "Selbstanzeige"[1]. Zweifelsfrei entspricht diese Erklärung nicht den inhaltlichen Erfordernissen des § 371 Abs. 1 AO[2], fraglich ist nur, ob diese "Selbstanzeige-Ankündigung" einen Anspruch auf ein befristetes Nachbesserungsrecht begründet und den Eintritt eines Ausschlussgrunds hindert, wenn nachfolgend die erforderlichen Angaben gemacht werden[3].

 

Rz. 49

Derartige "Selbstanzeige-Ankündigungen" sind in der Praxis durchaus üblich. Nr. 120 Abs. 1 der Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren[4], wonach die Finanzbehörde Gelegenheit zur Nachbesserung geben sollte, bestätigte, dass die Finanzbehörden diese Verfahrensweise geduldet haben. Diese Praxis mag vom Zweck des § 371 AO noch akzeptabel erscheinen[5], der Gesetzeswortlaut lässt aber einen solchen Weg, den Eintritt eines Ausschlussgrunds nach § 371 Abs. 2 AO zu verhindern, nicht zu[6]. Die "Selbstanzeige-Ankündigung" hat lediglich zur Folge, dass der Empfänger die "aufgedeckte" Tat nicht i. S. v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO "entdecken" kann[7]. Im Übrigen ist die Finanzbehörde nicht gehindert, einen Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO herbeizuführen, insbesondere ein Steuerstrafverfahren einzuleiten[8]. Sie ist hierzu nach dem Legalitätsprinzip[9] verpflichtet, da nun ein Tatverdacht besteht (Rz. 11). Ein Rechtsanspruch auf die Fristgewährung zur Nachbesserung der "Selbstanzeige-Ankündigung" besteht nicht[10]. Mit der "Selbstanzeige dem Grunde nach" kann die Sperrwirkung der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO (Rz. 62) nicht umgangen werden[11]. Die Strafbefreiende Wirkung einer "Selbstanzeige" kann nur dadurch erreicht werden, dass bereits auf der ersten Stufe der "Selbstanzeige" geschätzte Angaben (Rz. 55) gemacht werden, die eine "Richtigstellung" (Rz. 57b) bewirken[12].

 

Rz. 50

Der Begriff der "gestuften Selbstanzeige" ist nicht klar umrissen. Mit ihm wird überwiegend eine "Selbstanzeige dem Grunde nach" mit anschließender Nachlieferung der Angaben beschrieben[13], sodass auf die vorigen Ausführungen (Rz. 48, 49) zu verweisen ist. Sofern man hiermit aber eine "Selbstanzeige" in verschiedenen getrennten Erklärungen meint[14], so sind hierin "Teil-Selbstanzeigen" zu sehen, wenn jede Teilerklärung hinreichende Angaben über die Besteuerungsgrundlagen (Rz. 43) enthält. Erst die Gesamtheit dieser "Teil-Selbstanzeigen" bewirkt die volle Straffreiheit, wenn man "Teil-Selbstanzeigen" für zulässig erachtet (Rz. 53) und nicht vor dem Eingang der jeweiligen Teilerklärung ein Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO eingetreten ist[15].

[1] a. A. Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 53.
[2] Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 18; Kemper, in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 371 AO Rz. 23 bezeichnet derartige Ankündigungen zutreffend als "sinnlos".
[3] Burkhard, PStR 2000, 233; Burkhard, PStR 2001, 46; Rolletschke, wistra 2002, 17.
[4] AStBV i. d. F. BGBl I 1996, 959, nicht mehr enthalten i. d. F. v. 18.12.2003, BStBl I 2003, 654.
[5] Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 532; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 84.
[6] Rz. 41;Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 20; Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 78.
[7] Rz. 107; a. A. Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 371 AO Rz. 20.
[8] LG Hamburg v. 18.6.1986, (50) 117/86 Ns, ­wistra 1988, 120; OLG Hamburg v. 3.6.1987, 1 Ss 183/86, wistra 1988, 123; BGH v. 20.5.2010, 1 StR 577/09, BFH/NV 2010, 1595 Rz. 34; Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 371 AO Rz. 20.
[9] § 152 Abs. 2 StPO.
[10] LG Hamburg v. 18.6.1986, (50) 117/86 Ns, wistra 1988, 120; s. aber Burkhard, PStR 2000, 233; Burkhard, PStR 2001, 46; Rolletschke, wistra 2002, 17; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 84; Kemper, in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 371 AO Rz. 25, 25a.
[13] Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 20; Kemper, in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 371 AO Rz. 22a; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 79; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 53.3.
[14] Rz. 39; Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/F...

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