2.2.3.3.1 Wahrheitsgehalt der Angaben

 

Rz. 51

Die Anwartschaft auf Straffreiheit wird nach § 371 Abs. 1 AO durch eine "Richtigstellung" begründet, d. h. es müssen Angaben gemacht werden, die berichtigen, ergänzen oder nachholen. Aufgrund dieser "Richtigstellung" muss die eingetretene oder mögliche Steuerverkürzung kompensiert werden[1]. Eine "Richtigstellung" liegt stets dann vor, wenn durch die Korrektur der Tathandlung nunmehr also die steuerlich materiell zutreffende Regelung ermöglicht wird.

 

Rz. 52

Die allgemeine Pflicht im Besteuerungsverfahren zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen (§ 90 Abs. 1 S. 2 AO, § 150 Abs. 2 AO) besteht uneingeschränkt auch für die "Selbstanzeige-Erklärung" (Rz. 34, 40). Die "Richtigstellung" hat vollständig und wahrheitsgemäß zu erfolgen[2]. Nur dann ist die "Rückkehr zur Steuerehrlichkeit" (Rz. 3) gegeben und die Voraussetzung für die Straffreiheit erfüllt[3].

 

Rz. 52a

Dieses Ziel kann in der Praxis aus unterschiedlichen Gründen nicht immer erreicht werden. Fraglich ist demgemäß, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die "Selbstanzeige-Erklärung" nicht zur "Richtigstellung" der Besteuerung führt.

Basierend auf der Rechtsprechung des RG[4] geht der BGH[5] und ihm folgend die Kommentarliteratur[6] davon aus, dass eine "Richtigstellung" dann nicht vorliegt, wenn die "Selbstanzeige-Erklärung" neue erhebliche Unrichtigkeiten zugunsten des Anzeigenden (Rz. 57a) enthält. Diese grundsätzliche Aussage gilt jedoch dann nicht, wenn man eine "Teil-Selbstanzeige" anerkennt (Rz. 53), bzw. eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zulässt (Rz. 57b).

[1] Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 67 m. w. N.
[2] BGH v. 11.11.1958, 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100, 101 einhellige Meinung; vgl. z. B. auch Schmitz, DStR 2001, 1821 m. w. N.; Blesinger, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 19. Aufl. 2008, § 371 AO Rz. 4; Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 371 AO Rz. 17; Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 18; Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 48; Kemper, in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 371 AO Rz. 26a; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 371 AO Rz. 71; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rz. 56; Scheurmann-Kettner, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 371 AO Rz. 10
[4] RG v. 27.6.1938, 3 D 387/38, RStBl 1938, 1133.
[5] BGH v. 14.12.1976, 1 StR 196/76, DB 1977, 1347.
[6] Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 371 AO Rz. 21; Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 19 Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 371 AO Rz. 64.

2.2.3.3.2 "Teil-Selbstanzeige"

 

Rz. 53

Die Anerkennung der Zulässigkeit einer "Teil-Selbstanzeige", d. h. einer "Selbstanzeige", in der eine "Richtigstellung" zulasten des Fiskus nicht vollständig erfolgt ist, ist zunächst von der Auslegung des § 371 Abs. 1 AO abhängig. Hiernach wird derjenige, der in den Fällen des § 370 AO unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde "richtig stellt" (Rz. 51), insoweit straffrei. Aus der Zuordnung dieses Begriffs "insoweit" folgt die Zulässigkeit der "Teil-Selbstanzeige".

 

Rz. 53a

Nach bisher einhelliger Ansicht[1] wird das "insoweit" bezogen auf den Inhalt der "Richtigstellung". Die Anwartschaft auf Straf­freiheit wird demgemäß "insoweit" begründet werden, wie die "Richtigstellung" inhaltlich reicht. Eine "Richtigstellung" i. d. S. erfolgt durch alle Angaben, die eine Annäherung an die materiell richtige Steuerfestsetzung bewirken. Die Angaben in der "Selbstanzeige" können also wiederum materiell unrichtig oder unvollständig sein, ohne dass hierdurch die strafbefreiende Wirkung dem Grunde nach beeinträchtigt wird. Soweit die Steuerverkürzung gemindert wird, tritt die teilweise Straffreiheit ein[2]. Die übrige Steuerverkürzung bleibt strafbar[3]. Durch diese Auslegung des § 371 Abs. 1 AO ist damit die Rspr. zu § 395 Abs. 1 RAO überholt, ob und inwieweit "neue" Unrichtigkeiten unerheblich sein müssten, um noch als "Berichtigung" (Rz. 52) gelten zu können[4].

 

Rz. 53b

Für den Eintritt der – teilweisen – Straffreiheit ist es bei dieser Ansicht unerheblich, warum der "Selbstanzeigende" nicht eine vollständige Richtigstellung vornimmt[5]. Selbst eine "dolose Selbstanzeige", d. h. eine "Selbstanzeige", die in der Erwartung vorgenommen wird, dass dadurch hinsichtlich weiterer Einkünfte in diesem Besteuerungszeitraum nicht mehr ermittelt wird[6], führt "insoweit" zur Straffreiheit, als dadurch eine Annäherung an die materiell richtige Steuerfestsetzung erfolgt[7]. § 371 Abs. 1 AO stellt primär auf den fiskalischen Vorteil ab, eine besondere Motivation oder Gesinnung des "Selbstanzeigenden" ist nicht Tatbestandsmerkmal des Gesetzes (Rz. 3a, 40a).

 

Rz. 53c

Keine "dolose Selbstanzeige" liegt dagegen vor, wenn nur Angaben gemacht werden, die einen fiktiven, erfundenen Sachverhalt betreffen, mit dem der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt verdeckt werden sollte[8]. Der "steuerliche Ertrag" aus dem fiktiven Sachverhalt ha...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?