Rz. 58
Die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Angaben erfolgt durch eine Erklärung im Besteuerungsverfahren (Rz. 5). Eine rechtliche Bindung an diese Angaben besteht für den "Selbstanzeigenden" im Besteuerungsverfahren (Rz. 10) nicht. Er kann die Angaben insoweit sowohl vor der auf seine Angaben hin erfolgenden "Berichtigungsveranlagung" als auch in einem nachfolgenden Einspruchsverfahren bzw. finanzgerichtlichen Klageverfahren wiederum korrigieren, da das Besteuerungsverfahren nach § 85 AO nur dem Zweck dient, das materiell-rechtlich richtige Ergebnis zu erreichen. Diese Korrektur, die insbesondere bei einer überhöhten Schätzung (Rz. 57b) in Betracht kommt, hat auf die strafrechtliche Situation (Rz. 59) keinen Einfluss. Insbesondere ist der "Selbstanzeigende" nicht an die rechtliche Wertung der Finanzbehörde gebunden, sondern kann das Vorliegen einer Steuerhinterziehung bestreiten, was für die Festsetzungsverjährung und die Zinspflicht von Bedeutung sein kann (Rz. 24).
Eine faktische Bindung an die vom "Selbstanzeigenden" in der "Selbstanzeige" gemachten Angaben kann sich nur daraus ergeben, dass das richtige steuerliche Ergebnis von der Finanzbehörde nicht ermittelt werden kann und das Schätzungsergebnis des "Selbstanzeigenden" (Rz. 56) zu seinen Lasten im Besteuerungsverfahren Bestand hat, wenn auch er dessen Unrichtigkeit nicht schlüssig darlegen kann.
Rz. 59
Strittig ist nur, ob sich eine rechtliche Bindung für das Steuerstrafverfahren (Rz. 11) ergibt, wie sich also eine Korrektur bzw. ein Widerruf der "Selbstanzeige" auf deren strafbefreiende Wirkung auswirkt. Franzen vertrat unter Berufung auf ältere Rspr. des RG die Ansicht, dass mit der Korrektur bzw. dem Widerruf die strafbefreiende Wirkung entfalle. Dieser Ansicht kann m. E. nicht gefolgt werden. Die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung von Angaben im Besteuerungsverfahren wird strafrechtlich als "Selbstanzeige" gewertet, d. h. als Aufdeckung einer Steuerhinterziehung (Rz. 5, 6). Sie wird durch die Einleitung des Strafverfahrens (Rz. 11) wie ein "Vorweg-Geständnis" behandelt. Im Strafverfahren ist der Beschuldigte bzw. Angeklagte an ein etwaiges Geständnis aber nicht gebunden, sondern kann es widerrufen oder korrigieren, wobei lediglich die Existenz des Geständnisses einen Beweiswert hat.
Nach Ankündigung einer Betriebsprüfung erklärt H gegenüber seinem Veranlagungsfinanzamt, dass er in den Jahren des Betriebsprüfungszeitraums jeweils 100.000 EUR Einnahmen pro Jahr nicht versteuert habe. Die für die Strafverfolgung zuständige Finanzbehörde betrachtet diese Erklärung als "Selbstanzeige" und setzt ihm eine angemessene Zahlungsfrist nach § 371 Abs. 3 AO. H erklärt daraufhin, dass nach seinen Recherchen die nicht erklärten Einnahmen in allen Jahren nur jeweils 40.000 EUR betragen hätten, wobei auch hiervon ein Teil nur fahrlässig nicht erklärt worden sei. Er zahlt nur die auf die Mehreinnahmen von 40.000 EUR pro Jahr entfallende ESt, GewSt und USt.
Die Korrektur oder der Widerruf der "Selbstanzeige" ist strafrechtlich nur von Bedeutung, wenn und soweit die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO (Rz. 122) nicht fristgemäß erfüllt worden ist. Soweit infolge der ersten "Selbstanzeigeerklärung" gezahlt worden ist, tritt hinsichtlich der angezeigten Steuerhinterziehung Straffreiheit ein, da die Voraussetzungen des § 371 AO objektiv vorliegen (Rz. 1a). Die subjektive Vorstellung des "Selbstanzeigenden", die sich in einer späteren Korrektur oder einem Widerruf äußert, ist für die "Selbstanzeige"-Wirkung unerheblich. Wenn die verkürzte Steuer nicht oder nicht vollständig nachentrichtet worden ist, so ist im Steuerstrafverfahren der Umfang der Steuerhinterziehung durch die Strafverfolgungsbehörde zu beweisen, wobei die "Selbstanzeige-Erklärung" lediglich ein Indiz für die Tat sein kann. Ob mit der – wahrheitswidrigen – Korrektur oder dem Widerruf der "Selbstanzeige" eine erneute Steuerhinterziehung begangen wird, ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen.