Rz. 146
Es ist fraglich und umstritten, ob in Fällen mehrfacher Selbstanzeigen bezüglich derselben Steuerart und desselben Besteuerungszeitraumes die letzte dieser Selbstanzeigen wirksam sein kann. Die Problematik lässt sich an folgendem Fall verdeutlichen:
T erstattet im Jahr 2014 wegen nicht erklärter Kapitaleinkünfte der Jahre 2011 und 2012 eine Selbstanzeige, die von der Finanzbehörde als wirksam angesehen wird. Die Steuerbescheide werden geändert, und die festgesetzte Steuer wird fristgemäß entrichtet. Im Jahr 2015 erstattet T wegen weiterer nicht erklärter Kapitaleinkünfte eine Selbstanzeige für das Jahr 2013. Darüber hinaus erklärt er für die Jahre 2011 und 2012 ein weiteres Konto nach, das er bei der ersten Selbstanzeige vorsätzlich verschwiegen hatte, und wiederholt im Übrigen die Angaben aus des Selbstanzeige aus dem Jahr 2014.
Im vorhergehenden Beispiel handelt es sich um eine Teilselbstanzeige, die später vervollständigt wird. Folglich verstößt die erste Selbstanzeige gegen das Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO. Teilweise wird demgegenüber die Ansicht vertreten, dass insoweit eine Gesamtbetrachtung der beiden Selbstanzeigen angezeigt sei, da der Erklärende durch die Abgabe beider bzw. mehrerer Selbstanzeigen letztendlich reinen Tisch mache und vollumfänglich zur Steuerehrlichkeit zurückkehre. Die im ersten Anlauf unvollständige Selbstanzeige werde in der Folge durch einen oder mehrere Nachträge geheilt.
Rz. 147
Diese Ansicht weiß jedoch nicht zu überzeugen, da sie zwar aus Sicht des Steuerhinterziehers und der Strafverteidigung wünschenswert sein mag, aber mit dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO im Hinblick auf das Vollständigkeitsgebot nicht zu vereinbaren ist. Danach ist jede einzelne Selbstanzeigeerklärung auf ihre Vollständigkeit zu untersuchen. Dafür spricht auch der Sinn und Zweck des Vollständigkeitsgebotes, Hinterziehungstaktiken zu unterbinden (Rz. 3, 102ff.). Bestünde jedoch die Möglichkeit, nach und nach die Selbstanzeige zu ergänzen, um am Ende im Rahmen einer Gesamtbetrachtung erst zur Vollständigkeit zu kommen, widerspräche dies dem Willen des Gesetzgebers. Darüber hinaus lässt sich das auch hinreichend deutlich an Art. 97 § 24 EGAO erkennen, der ausdrücklich nur für bestimmte Altfälle eine Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot zulässt. Für alle nach dem 28.4.2011 eingegangenen Selbstanzeigen gilt hingegen das Vollständigkeitserfordernis.
Rz. 148
Wie sich aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO ergibt, ist somit die erste Selbstanzeige – im vorhergehenden Beispiel diejenige aus dem Jahr 2014 – als unvollständige Selbstanzeige unwirksam, da der Stpfl. nicht sämtliche Einkünfte nacherklärt hat. Allerdings erfüllt eine folgende Selbstanzeige – im Beispiel diejenige aus dem Jahr 2015 – die Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO, wenn durch sie alle nicht verjährten Zeiträume der jeweiligen Steuerart vollständig korrigiert werden. Sie ist mithin aufgrund der umfassenden Darstellung aller Angaben vollständig. Dasselbe dürfte wohl auch gelten, wenn der Erklärende die bereits in der vorhergehenden (unwirksamen) Selbstanzeige enthaltenen Fehler nicht erneut korrigiert. Darauf zu bestehen, dass eine Wiederholung erfolgt, erscheint unnötig formal und ist abzulehnen. Dies gilt insbesondere, wenn auf der Grundlage der unwirksamen Selbstanzeige bereits Änderungsbescheide erlassen wurden. Maßgeblich ist insoweit allein, ob all das nachgereicht wurde, was zur Vollständigkeit der zweiten Selbstanzeige führt.
Rz. 149
Aber selbst, wenn die zweite Selbstanzeige vollständig ist, ergibt sich daraus noch keine zwingende Aussage zu ihrer Wirksamkeit. Die Unwirksamkeit der zweiten Selbstanzeige ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO, auch wenn es gerade das Ziel des Gesetzgebers war, Hinterziehungsstrategien zu verhindern und Teilselbstanzeigen abzuschaffen. Dieses Ziel ist allerdings entsprechend dem Sinn und Zweck des § 371 AO lediglich zu erreichen, wenn sowohl die erste unvollständige als auch die zweite nachfolgende Selbstanzeige unwirksam sind, da anderenfalls der Stpfl. doch eine (weitere bzw. vollständige) Selbstanzeige jeweils zunächst zurückhalten kann, da ihm trotz vorheriger unvollständiger Selbstanzeige auch später noch die Möglichkeit bliebe, straffrei zu werden. Aus diesem Argument kann jedoch nicht die Unwirksamkeit der zweiten Selbstanzeige abgeleitet werden, da auch für § 371 AO das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG gilt. Folglich kann allein der Wille des Gesetzgebers nicht zur Ausweitung der Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO über den Wortlaut hinaus führen.
Rz. 150
Ausgehend vom Wortlaut des § 371 AO ist jedoch fraglich, ob das Eingreifen eines Sperrgrundes die Wirksamkeit der folgenden Selbstanzeige hindert. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Einführung eines Sperrgrundes für den Fall einer vorherigen Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO oder § 378 Abs. 3 S. 1 AO fand keinen Eingang in den Wortlaut des § 371 AO n. F. Sofern jedoch zum Zeitpunkt der z...